Gottesbild nach Auschwitz

Es sei der Mensch, der die Fähigkeit habe zu sündigen und Böses zu tun, und die Freiheit, sich dafür oder dagegen zu entscheiden, schreibt Leo Trepp in seinem Buch ‚Die Juden’. Für ihn ist es Blasphemie, die Shoah theologisch erklären zu wollen. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre setzt er sich mit Richard Rubenstein auseinander, der in seinem Buch „Nach Auschwitz“ verkündet, Gott sei tot. Den Anstoß zu Rubensteins Denken hatte eine Konversation mit dem Berliner Propst Heinrich Grüber im August 1961, eine Woche nach Mauerbau gegeben, der, obgleich er sich während der Shoah für die Juden eingesetzt und zahlreichen Christen, die aus jüdischen Familien kamen, das Leben rettete, die These vertritt, dass Gott die Juden mit Auschwitz für ihre Sünden gestraft habe. Die Deutschen seien Gottes Rute gewesen, weshalb sie aber nun selbst wieder durch den Bau der Mauer bestraft würden. Da Rubenstein keine Sünde auf der Seite der Juden erkennen kann, sie aber selbst verantwortlich für die Erschaffung dieses Narrativs seien – schließlich verträten ihr Rabbiner auch die Haltung, dass die Zerstörung des Tempels eine Strafe gewesen sei – bleibe den Juden nur, diesen Geschichtsgott aufzugeben und in Israel zur Naturreligion zurückzufinden. Das Diasporajudenum und dessen Lehre und Lehrer lehnt er in einem Brief an Trepp entschieden ab.

Rubenstein habe sich komplett vom jüdischen Denken entfernt, schreibt Trepp an einen Freund, man dürfe die Gefahr, die von seinem Denken ausgehe, aber nicht unterschätzen. Besonders junge Juden wüssten sowenig vom Judentum, dass sie Rubenstein und seine Thesen ernstnehmen könnten. Sein Freund, ein prominenter Rabbiner, dessen Schüler Rubenstein war, distanziert sich mit scharfen Worten von dem „jüdisch-theologischen Totengräber“, der die wirkliche Theologie der hebräischen Bibel nicht kenne. Moderne Juden interpretieren den Fall des Tempels und die Verbannung nach Babylon nicht als Strafe, sondern als Aufgabe, eine neue Gesellschaftordnung zu erlernen und etablieren, das Leben als Juden in der Diaspora nämlich mit gleichzeitiger Treue zur Tora wie zum neuen Land. Eine Strafe, schreibt Leo Trepp, könne es schon deshalb nicht sein, weil dann die Kinder „ihrer Väter Verfehlungen zu büßen“ hätten, was der Lehre der Tora widerspreche. Er selbst sieht die Opfer der Shoah in einer Reihe mit den tausenden und abertausenden von Juden, die ihr Leben über die Jahrhunderte geben mussten, weil sie Juden waren. Für einen Vortrag schreibt er:

 

Was bedeutet der Holocaust für mich? Ich habe mich schlicht mit einer der Slichot des Jom Kippur beschäftigt, dem Bericht über den Märtyrertod der zehn Rabbiner, die von den Römern unter Kaiser Hadrian hingerichtet wurden. Es tut nichts zur Sache, dass der Bericht einige historische Ungenauigkeiten aufweist. Geschrieben von einem mittelalterlichen Dichter, der die Auslöschung der Juden während der Kreuzzüge selbst erlebt hat, verbindet seine Chronik die Vergangenheit mit der Gegenwart.

Er öffnet mit den Worten: „Rabbiner Jishmael reinigte sich selbst und verkündete ehrfürchtig den Namen [Gottes], und fuhr auf in den Himmel und fragte den in Leinen gewickelten Mann [Engel]. Dieser antwortete ihm: ‚Nehmt es auf euch, ihr Zaddikim (Gerechten) und Geliebten, denn ich habe von hinter dem Vorhang gehört, dass dies der Weg ist, auf dem ihr scheiden werdet […]“. Für den Schreiber wie für den Leser gibt es keinen Zweifel daran, dass Gott der lebendige Gott ist, sein Schweigen wird nicht hinterfragt, nur das Rätsel über sein Urteil bleibt und, als Reaktion, der Gehorsam in der Heiligung Seines Namens. Es gibt keine Schuld, sie sind Gottes geliebte Kinder. Ich muss aus existenzieller Notwendigkeit heraus annehmen, dass Gott lebt, und dass göttliche Fügung auf einem Plan ruhte und ruht, den wir als Menschen unfähig sind zu erkennen. Die Worte der Slichot haben darauf Antwort gegeben.

 

 

Gottes Existenz steht für Leo Trepp nie in Frage. „Das Bewusstsein des Daseins Gottes entsteht im Juden durch die Vermittlung der Tora”, schreibt er in „Die Juden“ und erzählt von dem großen Denker Emmanuel Levinas, der die letzten Stunden eines polnischen Juden schildert, der bereits seine ganze Familie verloren hat und im Warschauer Ghetto erkennt, dass, auch wenn Gott sich verbirgt, seine Tora weiterhin da ist und dass sie weiterleben muss, um der Welt willen. Sein eigenes Verhältnis zu Gott ist sein Leben lang geprägt von der Nacht in Sachsenhausen, in der er seinen Tod erwartete und die Gegenwart Gottes erfuhr.

Er schreibt: “Seit diesem Tag werde ich Gott niemals verleugnen oder vom Tod Gottes sprechen können. Ich wusste, dass Gott genau dort war. Er selbst war in dem Lager, ertrug freiwillig Gefangenschaft und Folter. Er war dort. Er lebt. Gott ist für mich die ultimative Grundlage meines Lebens und Quelle meiner Werte.”

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