Zentrale Themen und Gedanken

Jüdisches Denken und das Ringen um Integration

Seit sich Juden vor rund 1700 Jahren zum ersten Mal in Deutschland ansiedelten, entwickelten ihre Rabbiner das aschkenasische Judentum weiter. So verfügte Rabbenu Gerschom ben Jehuda, der in Trepps Geburtsort Mainz eine einflussreiche Jeschiwa gründete, schon im zehnten Jahrhundert, dass sich Männer nicht mehr gegen den Willen ihrer Frauen scheiden lassen durften. Er verbot die Polygamie, die ohnehin nicht mehr praktiziert, bis dahin aber nicht offiziell verboten war, und führte das Briefgeheimnis ein. Über die Jahrhunderte folgten ihm jüdische Denker und Rabbiner, die sich neuen Verhältnissen mit neuen Regeln und Ideen stellten. Nach den Kreuzzügen und zahlreichen Pogromen ordnete der Rabbiner Jacob Molin, der Maharil, ebenfalls in Mainz an, dass die liturgischen Gesänge unverändert bleiben müssten, so dass sie im Falle der Verfolgung mündlich weitergetragen und überleben könne. Moses Mendelssohn sah die Notwendigkeit für die Juden, sich stärker in die Mehrheitsgesellschaft einzufinden, übersetzte die Bibel in die deutsche Sprache und begründete im 18. Jahrhundert die jüdische Aufklärung.

Leo Trepp machte sowohl Juden wie auch Nichtjuden mit jüdischen Denkern vertraut. Er lehrte und schrieb über sie und untersuchte, inwieweit ihre Ansätze sich auf die aktuelle Zeit übertragen ließen. Und er zeigte, dass sich vor allem das Diaspora-Judentum seit Jahrtausenden ständig weiterentwickelte, aus innerjüdischer Notwendigkeit und auch, weil es sich herausgefordert sah, sich zu der Mehrheitsgesellschaft und deren Anforderungen und Anfeindungen zu verhalten. Eine der Kernfragen, die Trepp zeit seines Lebens beschäftigten, lautete: Wie konnten Juden ihre Identität erhalten und stärken und sich gleichzeitig der Umwelt öffnen und verantwortliche Staatsbürger sein? In dem bereits genannten Essay schreibt er schon 1946 über dieses Problem und wehrt den Vorwurf gegen deutsche Juden ab, dass sie sich, um dem gesellschaftlichen Druck und dem Antisemitismus zu entgehen, alle assimiliert hätten:

„Es gibt einen Unterschied zwischen Integration und Assimilation. Die Assimilation beinhaltet stets Aufgabe der Individualität; Integration dagegen ist eine Form der Synthese. Wenn zwei Kulturen sich integrieren, lernt die eine von der anderen und umgekehrt, man befruchtet sich gegenseitig. Unter den deutschen Juden gab es zwar solche, die sich assimilierten, doch ist es unangebracht, alle deutschen Juden auf dieser Grundlage zu beurteilen.... Deutsche Juden waren die ersten, die sich mit den Problemen der westlichen Gesellschaft auseinandersetzen mussten. Sie wurden gezwungen, sich mit der Welt der ‚Goyim‘ auseinanderzusetzen. Osteuropäische Juden mögen nicht in der Lage gewesen sein, das zu verstehen und nachzuvollziehen, und das Gefühl gehabt zu haben, dass sie bei einer Annäherung selber zu ‚Goyim‘ würden, ganz so wie ein orthodoxer Vater seinen Sohn als ‚Goy‘ bezeichnen würde, wenn dieser sich einer Synagoge mit Reformtendenzen anschlösse.

„Die Juden lebten in zwei Kulturen – der jüdischen und der deutschen. Dies gab ihnen ein kritisches Auge für die Errungenschaften wie die Mängel der deutschen Kultur- und Gemeinschaftsformen. Der deutschen Kultur war damit eine ideale Möglichkeit gegeben, sich an einer anderen hohen Kultur in ihrer Mitte zu messen, sich ihr kritisch zu stellen und von ihr beeinflusst zu werden. Das ist nicht geschehen." - Leo Trepp über das Verhältnis von Juden und Nichtjuden vor der Schoah.

Die deutschen Juden, zweifellos von der systematischen Entwicklung der deutschen Ideen geprägt, gingen das Problem methodisch an. Dies an sich war schon ein Zeichen der Integration. Den Juden, der nach der Fahrt in seinem Auto zur Synagoge wütend über das Auslassen des ‚Pitum Haketoreth‘ wird, da er sich als orthodox betrachtet, gab es nicht. Diese zwei Handlungen lassen sich nicht in einem Denksystem vereinbaren. So entwickelte Samson Raphael Hirsch sein System der Tora im Derech Eretz, eine Synthese der strengen Befolgung des Din und der treuen Teilhabe an der westlichen Gesellschaft. Geiger platzierte die westliche Kultur an erster Stelle, während Frankel keinem der beiden Ansätze folgte, sich aber ihrer Ideen bediente und nach einer liberalen Interpretation des talmudischen Gesetzes im Sinne der historischen Kontinuität strebte. Herzl folgte Hegels Schule mit der Apotheose des Staates als das Ein und Alles und basierte seinen Zionismus auf den aktuellen nationalistischen Theorien. Für Hermann Cohen war Kant die Grundlage: Die Vernunft war die Essenz des Judentums und sie war „rein“, da es eine perfekte Beziehung für Menschen unter Gott schuf.

 

Die verschiedenen Strömungen im Judentum

Streng orthodoxe Juden akzeptieren die Tora als das Wort Gottes. Die Gläubigen haben zu Gott eine enge Beziehung. Sie sehen in ihm den Lenker der Welt, der auch über ihr persönliches Schicksal bestimmt und ihre einzelnen Gebete hört.

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Rosenzweig fügte das mystische Element der Auserwählung Israels hinzu. Das Leben Israels hat eine metaphysische Bedeutung. Die Welt hängt von unserem Dasein ab. Wenn wir authentisch „Wir“ sind, können wir der Welt helfen. Buber bringt die Ideen des Chassidismus ein, die er mit Kierkegaards Philosophie fusioniert, obgleich er ihm oft widerspricht. All dies sind jüdische Systeme der Philosophie. Sie nutzen Methoden und Ergebnisse des modernen Denkens, um die jüdische Position zu stärken, den jüdischen Status zu erläutern und die Juden zu führen. So hat es schon Maimonides gemacht. Und da sie den Juden nicht als isolierte Einheit sehen, sondern in der Mitte der Nationen, in denen er als Bürger lebt und zu deren Wohlergehen er beiträgt, indem er sich gemäß seiner eigenen Kultur und Ethik einbringt, schließt sich der Kreis des Nehmens und Gebens. Das ist Integration.“ Mehr dazu finden Sie hier.

 

Judentum leben – und die Frauen einbeziehen

Wie für die Gemeinden, die er an der amerikanischen Westküste aufbaute, war es Trepp auch für die Mitglieder neuer Gemeinden in Deutschland wichtig, dass sie ein jüdisches Selbstbewusstsein entwickelten. Um eine gefestigte Identität zu erlangen und an neue Generationen zu vermitteln, müssen Juden nicht nur Tora und Talmud lernen, sondern sich der modernen Welt als bewusste Juden stellen. Dieser Gedanke wurde noch relevanter, nachdem die deutsche jüdische Gemeinschaft durch die Kontingentflüchtlinge aus Staaten der früheren Sowjetunion stark wuchs. Erst langsam bildeten sich neben den überwiegend orthodoxen Gemeinden auch liberale Gruppen. Obgleich sich Trepp selbst nie mehr einer Richtung zugehörig zählte, unterstützte er die Offenheit und Gleichberechtigung der Frauen in diesen Gemeinschaften. Auf keinen Fall durfte und sollte das Judentum auf die eine Hälfte der Menschen, nämlich die Frauen, im aktiven Gemeindeleben verzichten. Vor der Schoah hatte es nicht wenige Anzeichen einer Öffnung gegeben. Frauen durften für Gemeindeämter kandidieren, und vor allem weist Trepp auf die weltweit erste Rabbinerin hin, Regina Jonas, die ihre Ausbildung an dem liberalen Seminar machte und nach mehreren Jahren des Widerstands ihrer männlichen Kollegen in Berlin amtieren konnte. Schon als Kind hatte er seine emanzipierte Tante bewundert, die eines Tages allein und vor allen Männern vor dem Toraschrein in der Synagoge betete.

Rabbinerin Regina Jonas

Die weltweit erste Rabbinerin wurde am 3.8.1902 in ärmlichen Verhältnissen in Berlin geboren. Man nimmt an, dass ihr Vater Wolf Jonas, ein orthodoxer Kaufmann, ihr erster Lehrer war. Sie besucht die jüdische Mädchenschule, fällt wegen ihres überdurchschnittlichen Wissens auf und weiß bald, dass sie Rabbinerin werden will.

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Nach dem Krieg setzt sich Trepp auf rabbinischer Ebene mit der Frage auseinander, inwiefern Halacha es erfordert oder rechtfertigt, dass Frauen im traditionellen Judentum zahlreichen Restriktionen unterworfen sind. Oftmals, so sein Fazit, waren es Männer, vor allem männliche Rabbiner, die Barrieren für Frauen errichteten. Mehr dazu finden Sie hier. In seinem Buch ‚Die Juden‘ widmet er dem Thema einen eigenen Abschnitt, in dem er betont, wie wichtig neben der Unterstützung einiger (orthodoxer) Rabbiner das eigene Wirken der Frauen war, mehr Rechte zu erkämpfen. Immer wieder verweist er in Reden und Schriften darauf, dass einige Rabbiner bereits im Mittelalter die Rolle der Frauen stärkten, so zum Beispiel der berühmte Rabbiner Rashi, der wichtigste Kommentator im Talmud, der seine Töchter Tefillin legen ließ. 1977 schrieb Trepp an den Philosophen und Pädagogen Ernst Simon, der, wie er selbst auch, eher der konservativen Linie im Judentum folgte: „... wäre es nicht unsere Pflicht, das Recht anzugleichen, besonders im Verhältnis zu den Frauen, gegen die wir diskriminiert haben? Das würde bedeuten, ihre Rechte, Tallis und Tefillin zu tragen, wiedereinzuführen, genauso wie Tora zu lernen und öffentlich zu lesen, und zumindest ihren eigenen Minjan zu haben.“ Heute sind alle diese Rechte in nicht-orthodoxen Synagogen eine Selbstverständlichkeit. Eine völlige Gleichberechtigung werde sich zu Gunsten aller Juden auswirken, schreibt Trepp. „Als Gestalter des öffentlichen Lebens haben zum Beispiel weibliche Rabbiner schon jetzt durch eine neue Sensibilität und neues Verständnis für die Not des Einzelnen und die Leiden der Gemeinschaft ihr Amt bereichert. Durch den Beitrag der Frauen mögen Geist und Leben des Judentums eine neue Entfaltung finden, deren Segen noch unabschätzbar ist.“

Die Rolle der Konvertiten

Früh sah Trepp die Notwendigkeit, Übertritte zum Judentum zu erleichtern, um nicht noch mehr Juden und deren zukünftigen Kinder zu verlieren. Nachdem offensichtlich ist, dass junge Juden vermehrt Nichtjuden heiraten, setzt er sich konsequent dafür ein, die künftigen Ehepartner in Gemeindeaktivitäten einzubeziehen und sie mit dem Judentum vertraut zu machen. Idealerweise schließen sich die Partner irgendwann der jüdischen Gemeinschaft an. Bereits als Student in der nationalsozialistischen Zeit hatte ihn Baron Ernst von Manstein tief beeindruckt, ein Konvertit, der trotz familiärer Bindungen zum Naziregime und eines immensen Druckes von den Nationalsozialisten, zu seinem gewählten Volk stand. Immer wieder macht der Rabbiner in Vorträgen und Schriften deutlich, dass er sich mit seiner Offenheit für Konversionen auf die jüdische Tradition bezieht. 2005 schreibt er mit seiner Lebenspartnerin das Buch ‚Dein Gott ist mein Gott‘, über Übertritte und belegt mit wissenschaftlicher Genauigkeit und zahlreichen Nachweisen, wie selbstverständlich sie zu biblischer Zeit und weit darüber hinaus gehandhabt wurden. Er schildert den Respekt und die Zuneigung, die sich im Talmud gegenüber Konvertiten äußert und zitiert wichtige Gelehrte, die neue Juden ohne Wenn und Aber als Juden anerkannten und andere kritisierten, die ihnen ihre Vergangenheit oder die Tatsache, dass sie konvertiert seien, vorhielten.

Berühmte Konvertiten

Bis zum fünften Jahrhundert hat das Judentum aktiv um Proselyten geworben. Konvertiten wurden als Bereicherung für das Volk angesehen. Wer jüdisch wird, verpflichtet sich auf Dauer, ein Leben vor Gott zu führen. Er müsse den Geboten der Tora folgen, schreibt Trepp, die immer verbunden seien mit der Verantwortung für die Ethik in der Welt: „Die Auserwähltheit des Juden besteht in der Verantwortung.“

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