Dialog mit Deutschland

Verantwortung übernehmen

Trepp kehrt nach der Schoah zunächst aus persönlichen Gründen nach Deutschland zurück. Er will sich um das Grab seines Vaters kümmern und den Namen seiner ermordeten Mutter auf dem Grabstein hinzufügen. In Oldenburg hilft er den paar Überlebenden bei einigen logistischen Aufgaben und hält einen Gottesdienst mit ihnen. Neues jüdisches Leben hält der Rabbiner in den 50-er Jahren noch für unrealistisch. Tatsächlich löst sich die Oldenburger Gemeinde ein Jahrzehnt später auf. In diesen Jahren richtet sich sein Fokus auf die Nichtjuden. Er berät die Oldenburger in der Errichtung eines Mahnmals, für das er verbindende Worte findet. Denn er will die Gutwilligen und die Mitglieder der neuen Generation ansprechen, nicht nur in Oldenburg, sondern bald in anderen Städten, in denen er lehrt. Wenn sie wirklich Verantwortung übernehmen wollen für die Verbrechen, müssen sie nicht nur auf den Massenmord blicken, auf die Vernichtung der europäischen Juden, sondern sie müssen dessen Ursachen erkennen. Diese Verantwortung, sagt Trepp, trage Deutschland als Gesellschaft ebenso wie der Einzelne. Sich der Geschichte des jahrhundertealten Judenhasses in Deutschland zu stellen gehört für ihn zur Erinnerung an die Schoah dazu.

Aus dem Grund erzählt er, wenn er mit Schülern spricht, zwar auch von seinen Erfahrungen im Konzentrationslager, doch hauptsächlich darüber, wie seine Kindheit und Jugend in einer Weimarer Republik aussahen, in der Antisemitismus täglich zu- und Zivilcourage gleichzeitig abnahm. Schuld trügen sie nicht, sagt er den jungen Menschen, aber eine immerwährende Verantwortung. Das Judentum fordere nicht, Rache an den Nachkommen der nationalsozialistischen Mörder für die Verbrechen zu üben. Die neue Generation sei aber verpflichtet, sich durch aktive Taten zu distanzieren und Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen, in der sie keinen Antisemitismus und Hass gegen Menschen zulasse und jede Art von Vorurteil auf welcher Grundlage auch immer bekämpfe. ‚Tzedek, tzedek, tirdof‘ – ‚der Gerechtigkeit sollst du nachjagen‘ – diese Aufforderung, die ihn durch sein Leben führt, soll auch den Deutschen eine Richtschnur sein.

Deutsche, die den Zusammenhang zwischen Auschwitz und den Jahrzehnten davor nicht nur sehen, sondern sich aktiv gegen alten und neuen Antisemitismus und für eine gemeinsame Zukunft einsetzen, nennt er Menschen, die Teschuwa getan haben. Diese Form der aktiven Reue erwartet er von der Gesellschaft als Ganzes. Vor und in der Nazizeit haben die Bürger die jüdischen Bürger nicht als die gesehen, die sie waren, sondern sich ein Bild von ihnen gemacht, das aus Vorurteilen und Abneigung gezeichnet war. Nun sollen die Nichtjuden lernen, wer die deutschen Juden waren. Sie sollen verstehen, was das Judentum ist, was Juden glauben, wie Ihre Werte und ihre Ethik aussehen.

 

Das Prinzip der Umkehr

Das jüdische Prinzip der Teschuwa bezeichnet die rabbinische Sicht auf den Prozess der Reue und Buße. Danach sind für die Vergebung mehrere Schritte Voraussetzung.

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Zu vielen Anlässen setzt er sich dafür ein, an Universitäten das Fach ‚Jüdische Studien‘ einzurichten. Als sich erste Zeichen mehren, dass es einen jüdischen Neuanfang in dem Land gibt, und dass die Juden bleiben werden, ist es für ihn noch wichtiger, das Bild, das viele in der nichtjüdischen Umwelt immer noch von den Juden haben, zu korrigieren. Er lehrt, hält bundesweit Vorträge über Geschichte und Ethik des Judentums und publiziert in seiner Muttersprache.

Wissen, so hofft er, wird neuen Hass verhindern und den alten bekämpfen. So ist das, was der verstorbene Karl Kardinal Lehmann Trepps „unermüdliches Versöhnungswerk“ nannte, für den eine Lebensaufgabe, die er nicht nur für die Juden übernimmt. Als jüdischer Humanist, der die Menschen liebt, wünscht er sich eine Gesellschaft, zu deren Wohlergehen und moralischem Wachstum jeder Bürger die Chance hat beizutragen. Nachdem die Deutschen vor der Schoah nicht gesehen hätten, welche Beiträge die Juden aus ihrer Ethik und Kultur heraus leisten konnten und wollten, seien die anderen Bürger nun vielleicht dazu bereit, sagt er.

Dialog auf Augenhöhe

„Gott ist für mich die ultimative Grundlage meines Lebens und Quelle meiner Werte." - Leo Trepp, 1992

Auch einen sinnvollen interreligiösen Dialog kann es aus seiner Sicht nur geben, wenn Christen bereit sind, den jüdischen Glauben als gleichwertig anzuerkennen, und als Religion, die immer noch Relevanz hat, und auf deren Werten Handlungsanweisungen ihres eigenen Glaubens beruhen. Trepp erzählt von einem Kirchentag, auf dem Theologen während eines Workshops über soziale Gerechtigkeit nach Begründungen für eine solche Pflicht suchten. Sie kamen nicht auf die Idee, sich auf die Propheten zu beziehen, was aus Trepps Sicht nahegelegen hätte. Doch die Teilnehmer hatten die sozialen Kämpfer der hebräischen Bibel überhaupt nicht im Blick.  Trotz der Vorurteile, die er, besonders während seiner ersten Besuche in Deutschland auch bei vielen Kirchenvertretern spürt, setzt sich der Rabbiner mit Nachdruck für einen gleichberechtigten Dialog ein und startet ihn an vielen Orten selbst. Er  schreibt zu diesem Thema:

„Im Neuen Testament werden ‚die Juden‘ als Widersacher gegeißelt, sie sind „außen vor“ und das christliche Gedächtnis wird diese Beschreibung ‚des Juden‘ behalten. Eine Revision des Textes mag schwierig sein, einige überarbeitete Versionen des ‚Neuen Testaments‘ wurden eingeführt, doch alle Bibeln, die künftig gedruckt werden, sollten zumindest Fußnoten aufweisen, die bei jeder Gelegenheit die Aussagen gegen ‚die Juden‘ klären. Jeder Gottesdienst beinhaltet eine Lesung aus dem ‚Alten Testament‘. Könnte sie nicht mit den folgenden Worten eingeleitet werden: ‚Wir bekommen nun Anweisung und Führung aus Gottes Wort, wie es den Juden, unseren Brüdern und Schwestern, offenbart und uns weitergegeben wurde?‘

Ich würde mir wünschen, dass es verpflichtende Kurse zum Judentum in den Lehrplänen aller theologischen Fakultäten gäbe, die es als einen lebendigen Glauben aus sich selbst heraus darstellen und nicht als einen überkommenen Vorläufer des Christentums. Dass die Geistlichen mit mehr Verständnis lernen, aus den hebräischen Schriften, dem ‚Alten Testament‘ zu predigen, und dass der Begriff ‚Altes Testament‘ durch ‚Hebräische Schriften‘ ersetzt würde. Dass sich Christen bewusst werden, dass ‚der Gott der Juden‘ des ‚Alten Testaments‘ mitfühlend und gnädig ist und die Erlösung bringt. Dass Christen verstehen lernen, dass Juden die Mitzwot nicht als Last ansehen, sondern als ein Geschenk, und dass Juden nicht von ihren ‚Werken‘ abhängig sind. Dass Christen die ethische Größe und Besonderheit der Pharisäer gezeigt wird. Dass Christen lernen, den einzelnen Juden und den Staat Israel nach denselben Maßstäben zu bewerten, wie andere Personen und andere Staaten.“ Mehr dazu finden Sie hier.

Leo Trepp merkt bald, dass die Gesprächspartner, die sich am ehesten offen für Kritik zeigen, diejenigen sind, die in sich und in ihrem Glauben ruhen. So ergeben sich belastbare Freundschaften. Als sich in Oldenburg Ende der 80-er Jahre eine neue jüdische Gruppe gründet und jüdische Gemeinden durch den Zuzug der Juden aus der früheren Sowjetunion deutschlandweit wachsen, wird es für ihn noch wichtiger, das Verständnis für das Judentum bei der Bevölkerungsmehrheit zu stärken. In zahlreichen Schriften hat er sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit Wahrnehmung und Urteile der Umwelt das Selbstbild der Juden beeinflussen. Wenn es neues jüdisches Leben in Deutschland geben soll, mit Juden, die selbstbewusst zu ihrer Religion und ihrer jüdischen Identität stehen, ist dafür unter anderem Voraussetzung, dass die anderen ihre Wahrnehmung von ihnen ändern, soweit diese immer noch durch Vorurteile geprägt ist.

‚Nächstes Jahr in Jerusalem‘ – Israel und die Juden

„Die Geschichten, Gebete und Segnungen, die im Kern immer die Beziehung zu dem Land und zu Jerusalem in sich tragen, haben für alle Juden durchgehend bis heute eine elementare Bedeutung. Sie sind Bestandteil der Liturgie, der Feste, und sie werden zu wichtigen Lebensabschnitten gesagt." -Leo Trepp über das Verhältnis der Juden zu Israel

In seinen letzten Jahren beobachtet und beschreibt Leo Trepp nicht nur eine Zunahme des Antisemitismus. Zudem nimmt er eine Gleichgültigkeit der Nichtjuden wahr, die ihn erschreckt. „Es sollte einen bundesweiten Aufschrei geben, wenn Juden mit einer Kippa auf dem Kopf angegriffen werden“, sagt er 2004 in einer Rede. Stattdessen scheinen Bürger nicht allzu interessiert. Von Beginn seiner regelmäßigen Reisen nach Deutschland an beobachtet er zudem eine starke Kritikbereitschaft dem Staat Israel gegenüber, die jede Empathie mit dem Land vermissen lässt. Und bei vielen findet er nicht einmal mehr ein Grundwissen über die Geschichte und Entstehung des Landes. Etwas, das man aus seiner Sicht von Deutschen erwarten kann. In einem Vortrag sagt er 2009:

„Die vielleicht gefährlichste Kraft ist der ständig wachsende Antizionismus, besonders in Deutschland und in anderen europäischen Ländern, doch auch anderswo. Er äußert sich in einer Haltung, die unter Ignoranz historischer Realitäten, oft gepaart mit einem erschreckenden Nichtwissen über die Moral und Ethik des Judentums, die Palästinenser als Opfer und die Israelis (oft ‚die Juden‘) als Täter sieht. Diese Haltung verweigert den Palästinensern die respektvolle Anerkennung als verantwortliche und über ihre Taten und ihr Verhalten frei entscheidende Menschen wie sie den jüdischen Israelis jede Anerkennung ihrer Humanität unter extremen Umständen, ihrer Sorge um andere unter größtem Druck (auch um die Palästinenser) und ihrer wertvollen Beiträge für eine gerechtere und bessere Welt verweigert. Man mag diese Haltung sogar als antisemitisch empfinden, weil sie von als unveränderlich erscheinenden Vorurteilen getragen ist, die Angehörigen einer ganzen Gruppe, nämlich den Juden, gelten.“ Mehr dazu finden Sie hier.

Trepp selbst war dem Zionismus nicht von Anfang an verschrieben. Viele Anhänger der Orthodoxie teilten wie sein Vater und er die Haltung von Samson Raphael Hirsch, der argumentiert hatte, für die Rückkehr ins verheißene Land dürfe man beten, sich aber nicht aktiv dafür einsetzen. In seiner Biographie erzählt Trepp, wie er sich in hitzigen Diskussionen am Berliner Rabbinerseminar zum Zionisten wandelt. Er liebt das Land und setzt sich dennoch und wahrscheinlich deswegen in vielen Abhandlungen kritisch mit der Politik der Regierung auseinander, die den Orthodoxen zu viel Macht im öffentlichen Leben einräume. Er plädiert für eine Stärkung des jüdischen Elements und der jüdischen Werte, indem nicht-orthodoxe Richtungen mehr Rechte und Freiheiten bekommen. Immer wieder kritisiert er die Politik des israelischen Rabbinats, das dem Judentum keine neue Kraft vermittle und in seiner Interpretation viele Entwicklungen ignoriere, die es in der jüdischen Geschichte gegeben habe.

Der Konflikt mit den Palästinensern ist für ihn nur durch eine Zweistaaten-Lösung zu bewältigen, auch wenn er seit den letzten Friedensprozessen und der Räumung des Gazastreifens keinen wirklichen Partner für die Israelis mehr auf der palästinensischen Seite sieht. Dass der Konflikt in Deutschland nicht in seiner ganzen Komplexität gesehen wird, belastet ihn, genauso wie die Tatsache, dass in Diskussionen die Bedrohung, unter das kleine Land von allen Seiten seit seiner Gründung steht, oft ignoriert wird, und vor allem, dass der Konflikt selten in seinem historischen Kontext gesehen wird. Verstärkt bietet er in seinen Vorlesungen und Vorträgen Themen an, die sich mit der jahrtausendealten Verbundenheit der Juden mit dem Land auseinandersetzen.