Denken und Philosophieren – die Essenz

Reflexionen über Identität – Judentum nach der Schoah

Leo Trepp sieht das Judentum als eine Religion der Liebe, Vernunft und der Offenheit. Die von Samson Raphael Hirsch entwickelte Philosophie der Neo-Orthodoxie beeinflusste sein Denken stark, was auch und vor allem der Erziehung und dem Einfluss seines Vaters geschuldet war. Hirsch trat für die strenge Befolgung aller Mitzwot ein, doch gleichzeitig dafür, dass die Juden engagierte Bürger des weltlichen Staates sein sollten, in dem sie lebten. Dem Gebot, den Fremden zu lieben, gab er eine neue Dimension: „Sey gerecht in That, sey wahr in Wort, trage Liebe im Herzen gegen deinen nichtjüdischen Bruder, wie es deine Thauroh dich lehrt – speise seine Hungrigen, kleide seine Nackten, erquicke seine Kranken, tröste seine Leidenden, berathe seine Unberathenen, springe ihm bei mit Rath und That, in Noth und Fahrniß, entfalte die ganze edle Fülle deines Jissroeleïlthums…” schreibt Hirsch in dem 15. Brief seiner “19 Briefe über Judenthum”. Für Trepp blieb dies das Ideal der Orthodoxie. Mit einer sich völlig von der Umwelt zurückziehenden Orthodoxie konnte er nicht nur nichts anfangen – er hielt sie für unproduktiv. Das Konzept Hirschs akzeptierte er nicht uneingeschränkt, er erweiterte es stark für sich und modernisierte es. Doch der Kern blieb: Tora im Derech Eretz – Tora verbunden mit weltlicher Kultur. Mehr dazu finden Sie hier.

Die Frage danach, was die Juden und das Judentum ausmacht, und wie sich das jüdische Verständnis von Religion immer wieder verändert, zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben und Denken von Leo Trepp. Doch die Schoah macht diese Frage für ihn noch wichtiger, ja, existentiell. Der Völkermord hinterlässt tiefe Spuren in seinem Leben, und in den vierziger und fünfziger Jahren ändert sich der Fokus seines Denkens und Schreibens. Er sieht sich nun mit anderen Rabbinern und Gelehrten in der Verantwortung, Menschen das Judentum zugänglicher zu machen. Nach dem Verlust von sechs Millionen Juden ist es aus seiner Sicht unerlässlich, die jüdische Gemeinschaft in jeder Hinsicht zu stärken. Für ihn gehören dazu vor allem, Wissen an junge Juden zu vermitteln und die jüdische Identität zu stärken.

„Das Judentum ist eine sich entfaltende religiöse Zivilisation, die aus dem Geist des Volkes erwachsen ist und weiter erwächst." - Der Begründer des Rekonstruktionismus, Mordecai Kaplan.  

Er ist besorgt um das amerikanische Judentum, das er zerfallen sieht. 1947 schreibt er an Martin Buber, der mittlerweile in Jerusalem im damaligen Palästina lebt: „Das Judentum hier ist zerklüftet, die Orthodoxie erscheint mir vormendelsohnisch, mit dem Unterschied, dass die Alten vielfach nur noch an dem Gottesdienst interessiert sind und außerhalb (der Synagoge) das Judentum vergessen haben. Die Jugend ist nicht erlaubt, sich zu regen und ist vielfach zur Reform übergetreten. Reform, unglücklicherweise, reformierte nicht um das Judentum zu heben, sondern um es zu assimilieren.... Die Jugend gibt auf und treibt davon.“ Schon in den Jahren davor hat er sich der Lehre von Mordecai Kaplan zugewandt. Kaplan, der seines breiten Einflusses wegen als einer der wichtigsten amerikanischen Religionsphilosophen galt, sieht im Judentum eine sich entfaltende religiöse Zivilisation, die aus dem Geist des Volkes erwachsen ist und weiter erwächst. Auch der Gottesbegriff steht nicht fest, sondern erwächst aus diesem jüdischen Volksgeist. „Ich habe doch einige Schwierigkeiten damit“, schreibt Trepp Kaplan, der zu seinem Mentor wird, in einem Brief. Doch dass diese Gedanken in der Welt sein müssen, dass man sie debattieren und wachsen lassen muss, um zu sehen, was sich daraus für Juden ergeben kann, steht für ihn fest.

„Lessings Ring-Parabel wird so zum religiösen Selbstmord. Denn wenn selbst die Gläubigen zweifeln, ob ihre Religion die richtige ist, dann wird Religion selbst irrelevant und nutzlos." - Leo Trepp über den Sinn von Religion

Bald wird er versuchen, den von Kaplan begründeten Rekonstruktionismus mit der Lehre von Buber zusammenzubringen, für den ein Dialog mit Gott, ohne gleichzeitig mit den Menschen zu sprechen genauso fruchtlos ist, wie ein Gespräch mit den Menschen ohne mit Gott verbunden und mit ihm im Dialog zu sein. „Eine Synthese, falls möglich, wobei Reconstructionism mehr ‚emotional‘ im guten Sinne würde, wäre ideal“ schreibt er an Buber. Später wendet er sich von vielen Ideen Kaplans ab, die er als zu radikal und rational ansieht. Doch an beiden, sowohl an Buber, wie auch an Kaplan, schätzt er, dass sie jüdisches Denken mit einer tiefen Liebe zum Judentum erneuern wollen. Diese Liebe zum jüdischen Denken und zu den jüdischen Menschen treibt ihn selbst. Immer wieder weist Trepp in seinen Werken darauf hin, dass eine Weiterentwicklung des Judentums keine Schwächung bedeutet, sondern im Gegenteil in der Tradition ein beständiges Element ist und das Judentum erhalten und gestärkt hat. Moderne Juden, von denen viele der Religion äußerst kritisch gegenüberstehen oder sie verlassen, müssen über ihre eigene Kultur in einer Weise lernen, dass sie sich auf sie beziehen, sie lieben und selbstbewusst vertreten können.

Die Frage, wie jüdische Ethik und Kultur für Juden im Alltag relevant sein konnten, hat er in seinen Büchern, in Vorträgen und in zahlreichen Predigten erörtert. Auf keinen Fall dürfe eine Integration bedeuten, dass Juden die Relevanz ihres Glaubens für ihr eigenes Wertesystem unterschätzten, schrieb er schon 1944 für den ‚Reconstructionist‘. Juden mussten sich sicher sein, dass für sie nur der jüdische Gott in Frage komme, auch wenn sie sich seit Lessing der Lehre aus der Tora noch bewusster gewesen seien, dass jede Religion ihre Berechtigung habe und für ihre jeweiligen Anhänger die einzig in Frage kommende sei und sein müsse. Mehr dazu finden Sie hier.

Nachdem er entschieden hatte, wieder regelmäßig nach Deutschland zu kommen, beschäftigt sich Trepp mit der Frage, woran sich heutige Juden in dem Land orientieren könnten und sollten. Für ihn war das natürliche Vorbild die Neo-Orthodoxie, die sich aus seiner Sicht weiterentwickeln musste und die sich – da war er nach seinen Erfahrungen mit der Aufgeschlossenheit seiner Ausbilder am Rabbinerseminar sicher – auch weiterentwickelt hätte, wäre das deutsche Judentum nicht durch die Schoah vernichtet worden. Mit den Worten „Das deutsche Judentum ist tot“, beginnt er einen Essay in dem Magazin „Conservative Judaism“ im Jahr 1946, einer Zeit also, in der niemand zu hoffen wagte, dass es wieder Juden in Deutschland geben könne. Mehr dazu hier. In diesem Essay macht er deutlich, wie konsequent die neo-orthodoxen Juden ihre Religion praktizierten, und wie sehr sie sich dennoch in jeder Beziehung in die Gesellschaft integriert hatten. Trepp gab die Hoffnung nicht auf, dass ein solches Denken mit ausreichender jüdischer Bildung in einer modernisierten Form revitalisiert werden könne.

Daneben beschäftigt ihn die Auseinandersetzung mit der Schoah. Wie sollen Juden an sie erinnern? Und soll sich diese Erinnerung von dem Gedenken der Nichtjuden, insbesondere der nichtjüdischen Deutschen unterscheiden? Trepp bleibt bis zuletzt auf der Suche nach einer Antwort.

Mensch und Umwelt ändern sich – und damit der Glaube

Schon in seiner Jugend und dann verstärkt während seines Studiums ist er an Philosophie ebenso interessiert wie an Religion. Er will verstehen, wie sich praktisches Leben und Religion zueinander verhalten und aufeinander einwirken. Die Menschen ändern sich, und damit ändert sich ihre Haltung Gott gegenüber. Trepp setzte sich früh mit jüdischen Philosophen und Religionsgelehrten auseinander, die sich ihrerseits mit dem Judentum beschäftigten und es – einer sich modernisierenden Zeit gegenüber stehend – weiterentwickeln wollten, und damit den veränderten Bedürfnissen der Menschen entgegenkamen. Besonders beschäftigt er sich neben Samson Raphael Hirsch mit dem Denken Hermann Cohens, dem neukantianischen Ansatz in der Philosophie und dem Konzept einer (jüdischen) Religion der Vernunft. Er bezeichnet Cohen als den „grundlegenden Denker des 20. Jahrhunderts, dessen Einfluss im gesamten jüdischen Denken zu erkennen ist“.

 

Hermann Cohen

Hermann Cohen (4.7.1842 bis 4.4.1918), war Sohn eines Kantors und Student am jüdisch theologischen Seminar in Breslau, bevor er zum Professor für Philosophie avancierte und als Haupt der Marburger Schule des Neukantianismus bekannt wurde.

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Wie mit den Schriften von Maimonides, der schon im 12. Jahrhundert die jüdische Lehre in Anlehnung an Aristoteles systematisierte, wird Trepp sich mit den religionsphilosophischen Werken von Cohen, wie die ‚Religion der Vernunft‘ und seine ‚Jüdischen Schriften‘ immer wieder neu auseinandersetzen. 1967 schreibt er erstmals in den Vereinigten Staaten über Cohen, den er hier (wie auch in Deutschland) für völlig unterschätzt hält. Ebenso wichtig ist für ihn der Schüler und Freund von Hermann Cohen, Franz Rosenzweig. Beide Philosophen haben einen starken Einfluss auf das Denken Martin Bubers gehabt, zu dem Trepp später Kontakt knüpft. Mehr dazu hier.

Franz Rosenzweig

Nachdem er den übermächtigen Einfluss der christlichen Mehrheitsgesellschaft auch auf das Denken und Bewusstsein der Juden erkannte, überlegte Franz Rosenzweig (25.12.1886 bis 10.12.1929) zunächst zu konvertieren.

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Martin Buber

Martin Buber (8.2.1878 bis 13.6.1965) führte als Denker das Cohensche Konzept der Korrelation zwischen dem Menschen, seinem Mitmenschen und Gott weiter.

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In seiner Dissertation ergründet Trepp die Form des französischen Denkens anhand von Taine, Montaigne und Richeome und deren Verhältnis zu Religion und Kirche und schreibt, den Vertreter der religionsgeschichtlichen Schule, Wilhelm Bousset zitierend: „Religion ist ja mehr als nur das Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit von Gott. Sie ist zugleich persönliche Interessiertheit, lebendiger Verkehr, ein Geben und zugleich ein Nehmenwollen.“ Und fügt, sich auf den Soziologen Max Scheler beziehend, hinzu: ‚So wird Religion nach Auffassung der Religionswissenschaft zum Spiegelbild des Wollens einer Zeit, eines Volkes.“

Später wird er schreiben: „Was immer mit den Juden in einem historischen Augenblick passierte, hat ihren Blick auf die Welt geformt und ihre Gebete und ihre Praktiken beeinflusst, ihre Philosophie und ihre Hoffnungen verändert. Der kreative Beitrag eines jeden Juden in dieser Abfolge von Geschehnissen hat zu dieser lebendigen Geschichte beigetragen. Der Glaube hat die Menschen geformt, und die Menschen haben ihren Glauben geformt in einer nicht endenden Entwicklung. Judentum ist ewiger Glaube und ewiges Volk, ein nicht endender Dialog zwischen Gott und den Menschen.“

Leo Trepp hat diesen Dialog bis zu seinem Tod geführt. Er stand tief im Glauben an den ewigen Einen, von dem er in seinen letzten Tagen sagte: „Was am Ende bleibt, ist Gott“. Für Trepp war es der Gott der Tora: Liebend, verzeihend und die Menschen zu ethischem Handeln verpflichtend. Doch dieser Gott war für ihn nicht statisch oder die Wahrnehmung von ihm unveränderbar. Im Herbst 1971 diskutiert er in seiner Korrespondenz mit dem damals 90-jährigen Mordecai Kaplan, dem Begründer des Rekonstruktionsmus, ob und inwieweit die persönliche Wahrnehmung Gottes tragfähig sei. Einige Jahre später wird er seinen Lehrer und Freund Kaplan mit einem kritisch geschriebenen Porträt bei den deutschen Juden einführen. Mehr dazu hier.

Leo Trepp hat das geschriebene Wort, das er an Leser richtete, stets auch genutzt, um sich mit eigenen Fragen auseinanderzusetzen, die ihn beschäftigten, und sich Rechenschaft abzulegen darüber, welchen Einfluss neue Erkenntnisse in der Wissenschaft oder auf anderen Feldern auf sein Denken hatten. In seinen ersten Jahren in den Vereinigten Staaten schreibt er als Redakteur des ‚Reconstructionist‘, des Magazins, das Mordecai Kaplan eingeführt hat, und in dem sich jüdische Intellektuelle über relevante aktuelle Themen austauschen. Einige dieser Beiträge finden Sie in der Rubrik ‚ausgewählte Essays‘.

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Ausgewählte Essays

In diesen ausgewählten Werken setzt sich Leo Trepp mit Fragen oder Entwicklungen auseinander, die ihn sein Leben lang beschäftigt haben