Kindheit und Jugend

Leo Trepp wird am 13. März 1913 als erster Sohn des Kaufmanns Maier Trepp (1873–1941) und seiner Frau Selma Zipora (1879-1942) in Mainz geboren. Sein Vater entstammt einer alteingesessenen Familie in Fulda, seine Vorfahren dienten den dort ansässigen Fürstäbten seit dem 15. Jahrhundert als Hofärzte. Sie wurden bald auch zu den Hofjuden Fuldas, Vertreter und Fürsprecher der jüdischen Gemeinschaft. Sie durften geschäftlich tätig sein, mussten allerdings auch für die schweren Steuern, die den Juden auferlegt waren, einstehen, wenn nötig aus eigenem Vermögen. Ihre medizinischen Fähigkeiten, die sich bis nach Mainz herumgesprochen hatten, und auf die die Kirchenherren nicht verzichten wollten, schützten die Familie, als Mitte des 16. Jahrhunderts beinahe alle Juden aus der Stadt vertrieben wurden.

Doch als einige Jahre später Söldner mit Hilfe der christlichen Nachbarn die jüdischen Häuser plünderten, konnten auch die Trepps nur in sicherer Ferne abwarten, bis der Mob weitergezogen war. lm Jahr 1671 vertrieb der Fürstabt Bernhard Gustav (von Baden‑Durlach) die Juden aus der Stadt, diesmal durften nur sechs Familien bleiben, darunter die Familie Trepp. Bald erging eine Vorschrift, dass die Juden in einem Ghetto zu leben hatten, das sie selbst bezahlen mussten.

Leo Trepps Vater, Maier Trepp

Nachdem seit Beginn des 19. Jahrhunderts die wirtschaftlichen Beschränkungen für Juden nach und nach aufgehoben wurden, florierten die Geschäfte der Familie. Sie handelten vorwiegend mit Textilien und Leder und trugen maßgeblich zum allgemeinen Wohlstand der Stadt bei, die das ihrerseits in den gegebenen Grenzen anerkannte. Einigen von ihnen war wahrscheinlich schon vor der Verleihung der Bürgerrechte an Juden im Jahr 1833 ein bürgerähnlicher Status gewährt worden, ein Mitglied der Familie wurde ins Stadtparlament gewählt. Leo Trepps Urgroßvater, Salomon Juda Trepp, war als Kaufmann zu einem wohlhabenden Mann mit respektablem Grundbesitz geworden. Sein Sohn, Judah Salomon, besuchte Oper und Symphonie, schrieb Poesie und war ein offener und gutherziger Mensch, dem nicht nur das Interesse, sondern jeglicher Sinn fürs Geschäftliche fehlte. Als ihn ein Freund in wirtschaftlichen Schwierigkeiten um Hilfe bat, bürgte er für ihn mit seinem gesamten Vermögen – und verlor alles.

Das einzige, was ihm in der Verarmung blieb, war ein Zuhause, denn das Haus gehörte seiner Mutter, und die Ehre, weiterhin als Vorsteher der jüdischen Gemeinde zu wirken. Nun musste Maier Trepp die Familie versorgen. Er verließ die Schule nach der Mittleren Reife, weil der Weg zum Abitur zu teuer gewesen wäre, und trat eine Stelle als Kaufmann in Mainz an.

Leo Trepps Mutter Selma Zipora, geborene Hirschberger

Leo Trepps Mutter Selma Zipora war eine geborene Hirschberger aus dem unterfränkischen Dorf Oberlauringen. Ihre Familie gehörte zu den Landjuden, die in Deutschland die größte jüdische Gruppe bildeten. Selma Trepps Vorfahre, der Schutzjude Hirsch (Sohn des) Isaak, geboren 1747, lebte ab 1776 in dem Ort und nimmt im späten Alter den Nachnamen Hirschberger an. Er führte die koschere Weinschenke und war Vorstand der Jüdischen Gemeinde. Der Vater von Selma, Samuel Trepp, arbeitete als Kaufmann.

 

DEUTSCHE LANDJUDEN:

Vor dem Krieg gab es hunderte kleiner Landgemeinden mit jeweils einigen Dutzend bis zu (selten) mehreren hundert Mitgliedern über das ganze Reich verteilt. Die Landjuden siedelten in Bayern, Württemberg und Thüringen genauso wie im Rheinland und verfügten oft über eine gute jüdische Infrastruktur, wie Synagoge, Mikwe und koschere Schlachtmöglichkeiten...

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Erster Weltkrieg und die Weimarer Republik

Zu Beginn des ersten Weltkriegs (1914 bis 1918) wird Maier Trepp als einfacher Soldat eingezogen. Anders als die anderen mit derselben Ausbildung ist er während seiner Dienstzeit nicht zum Offizier ernannt worden. Obwohl die Verfassung des Kaiserreichs die Gleichberechtigung von Juden im Militär vorschreibt, ist sie nie umgesetzt worden. In der Weimarer Republik (9.11.1918 bis 28.2.1933) stehen Juden erstmals höhere Staatsämter offen. Doch einen wirklichen Mentalitätswandel bewirkt das bei der Mehrheit der nichtjüdischen Bevölkerung nicht.

Jüdische Politiker und Unternehmer werden als Nutznießer dargestellt, die rücksichtslos ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgten, während das Volk unter den Kriegsfolgen und vor allem unter der Inflation (1914 bis 1923) leide. Auch die Reparationszahlungen an die Siegerstaaten werden den Juden angelastet. Bald entlädt sich Hass auch in körperlichen Attacken, die Strafverfolgungsbehörden schauen oft in die andere Richtung.

 

JÜDISCHE SOLDATEN IM ERSTEN WELTKRIEG

Die Gleichstellung der Juden in der Armee besteht oft nur auf dem Papier. Der Antisemitismus grassiert besonders unter den Offizieren, die sich teilweise mit nationalistischen und antisemitischen Gruppen zusammentun, um ihre Mär von der „Feigheit“ der jüdischen Kriegsteilnehmer publik zu machen...

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Besonders stark agieren die rechten Gruppen in Franken und Thüringen. Auch in Oberlauringen treten bereits in den frühen zwanziger Jahren ehemalige Mitglieder der Brigade Ehrhardt auf und halten antisemitische Reden. Die Brigade, in der Mehrheit Offiziere, war wegen ihrer Gewalttätigkeiten aufgelöst worden, im Untergrund agitieren viele Mitglieder aber weiter und bilden bald die Geheimorganisation Consul.

Am 24. Juni 1922 erschießen drei junge Mitglieder der Organisation Consul den jüdischen Außenminister Walther Rathenau (geb. 29.09.1867). Rathenau hatte während des Krieges den Rohstoffbedarf gesichert und als Außenminister in Verhandlungen geschickt die Position Deutschlands gestärkt. Dennoch hatten die Rechten ihn nach dem Krieg der Illoyalität gegenüber Deutschland beschuldigt.

Sein Tod trifft Maier Trepp sehr. Er ist Mitglied der demokratischen Partei, seine Frau und er denken politisch liberal und unterstützen die Republik. Einige Jahre später stirbt der erste Reichspräsident der Weimarer Republik, der Sozialdemokrat Friedrich Ebert (4.2.1871 bis 28.02.1925). Mit ihm stirbt der Fürsprecher einer parlamentarischen Demokratie, an deren Zerstörung besonders die Militärs arbeiten.

Alle Juden sehen die Entwicklung mit Besorgnis, doch die Reaktionen sind verschieden: Für manche sind die gröber werdenden Anfeindungen Anlass, sich stärker zu assimilieren, manchmal bis an den Rand zur Selbstaufgabe. Leo Trepp und seine Familie dagegen konzentrieren sich auf die Liebe zu Gott und zur Familie und auf die Wärme, die sie in der jüdischen Gemeinschaft erfahren. Im Dezember 1917 ist sein Bruder Gustav geboren worden. Die zwei Geschwister sind sehr verschieden. Der Jüngere strebt bald der stark ausgeprägten Religiosität seiner Mutter nach.

Strikt religiös und politisch liberale Haltung

Die Familie gehört der neo-orthodoxen Gemeinschaft an, deren Synagoge am Flachsmarkt liegt. Die Beter bilden gemeinsam mit den Mitgliedern der liberalen Synagoge am Hindenburgplatz (die eine Orgel hat) eine Einheitsgemeinde und teilen sich den Friedhof und andere Einrichtungen. Die Trepps führen ein strikt religiöses und politisch liberales Leben. Oper, Theater und die schönen Künste gehören genauso selbstverständlich dazu wie die regelmäßigen Gottesdienstbesuche. Sie leben, was Samson Raphael Hirsch, der Begründer der Neo-Orthodoxie ‚Tora im Derech Eretz’ nannte – Tora und enge weltliche Verbundenheit. Die Juden sollen sich der Umweltkultur und Politik laut Hirsch als bewusste und religiöse Juden widmen.

 

Neo-Orthodoxie

Jahrhunderte lang hatte in Deutschland die Orthodoxie geherrscht. In den Städten allerdings machen sich die Auswirkungen der Aufklärung und der offiziellen Gleichberechtigung der Juden auch in den Gemeinden bemerkbar. In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts führte Rabbiner Nathan Marcus Adler (15.1.1803 bis 21.1.1890) in Oldenburg die ersten Neuerungen in der Orthodoxie ein. Sie sollten bald von der Mehrheit der orthodoxen Rabbiner akzeptiert werden:  

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So werden schon in Leos Kindheit die Grundlagen für Trepps späteren liberalen Überzeugungen gelegt. Noch vor Ende des Krieges, Leo ist fünfeinhalb Jahre alt, beginnt sein Vater, mit ihm Tora und Mischna zu lernen. Bald wird er seinem Sohn erzählen, wie die Rabbiner im Talmud versuchen, dem Ganzen einen menschlichen Sinn zu geben. Daneben führt er Leo an die Welt der Musik und Literatur und Kunst heran. Meist sieht der Vater seinen Sohn nur am Wochenende. Er ist als Vertreter unterwegs, sein Kundenkreis erstreckt sich über das deutsche Reich bis in die Schweiz.

 

Tisch mit Geschenken zu Leo Trepps Bar Mitzwa, 1926
Erste antisemitische Erfahrungen

Die langen Schultage, das tägliche Torastudium und den strikten Tagesablauf meistert der Junge spielend. Bald aber macht ihm der immer häufiger zutage tretende Antisemitismus Schwierigkeiten. In den frühen zwanziger Jahren nimmt er die schleichende Vergiftung der Bürger durch die völkische Bewegung nur indirekt wahr. Er hört, wenn seine Eltern sich über antisemitische Nachbarn unterhalten. Und auch dem Neunjährigen entgehen die Worte nicht, die nun an manchen Wänden prangen: „Schlagt ihn tot, den Rathenau, die verdammte Judensau.“ Er wird den Sommertag nicht vergessen, an dem sein Vater ihm erzählt, dass Walther Rathenau ermordet worden ist. Die sichtbare Erschütterung des Älteren, seine belegte Stimme und das bleiche Gesicht prägen sich ihm ein.

In den Jahren zwischen 1924 und 1929, die Trepp später als die „guten Jahre“ bezeichnet, gab es weniger Vorfälle, doch ab 1927 stieg die Zahl der antisemitischen Angriffe auf Bürger und Synagogen, Geschäfte und besonders Friedhöfe wieder an und sollte von da an nicht wieder abebben. Zu Beginn der dreißiger Jahre berichteten die jüdischen Zeitungen über zahlreiche Angriffe auf Juden, bei denen diese körperlich verletzt wurden. In Mainz beließen es die Nichtjuden zu dieser Zeit noch bei nonverbaler Verachtung. Doch wie Leo Trepp später erzählen wird, rotteten sich, als die jüdische Theatergruppe Habima zum Gastspiel in die Stadt kam, so viele Menschen im Protest zusammen, dass die Polizei das gesamte Theater besetzen musste.

Oberlauringen in den 1920er Jahren
Schulklasse Leo Trepp
Trepp (links außen) in seiner Abiturklasse, 1930

Vor allem in seinen späteren Jahren am Gymnasium macht sich der Nationalsozialismus auch im Unterricht bemerkbar. Anfangs fühlt er sich wegen mancher Bemerkungen als Außenseiter. Doch dann werden die Angriffe direkter. Die anderen schließen ihn durch ihre Aktionen aus. Sie ignorieren seine Beiträge und zeigen ihm ihre Ablehnung offen. Heute würde man sagen, sie mobben ihn.