Gebete über das Land Israel

Leo Trepp war ein überzeugter Verfechter der Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt. Doch gab es für ihn nie einen Zweifel, dass den Juden das volle Recht zusteht, in dem Land zu leben, das ihnen seit Jahrtausenden als Heimstätte gilt. Trepp konnte nicht verstehen, wenn Menschen die These vertraten, Israel sei aufgrund des Holocaust gegründet worden, und sie damit die historische Dimension der Verbindung zwischen Juden und Land und die Geschichte des Zionismus ignorierten. Er kritisierte manche Entwicklungen im jüdischen Staat, doch bewunderte er stets dessen Offenheit und lebendige Demokratie. Und er war stolz, wenn er von seinen zwei Neffen in dem Land erzählte – der eine ein orthodoxer Jude mit Ansichten, die Trepp selbst nicht teilte, der andere ein linksliberaler Kibbutznik. Stolz, weil beide ihren Platz in der Gesellschaft haben, die als einzige in der Region ethnisch, religiös, politisch und in jeder anderen Hinsicht diversifiziert ist. Trepp macht im folgenden Beitrag mit Beispielen deutlich, dass sich aus der Religion und dem Lebenskreis der Juden eine starke Verbundenheit zu dem Land ersehen lässt. Es ist keine politische Stellungnahme, so kommt es weniger darauf an, ob und welchem Umfang sich biblische Ereignisse zugetragen haben oder ob und wann biblische Äußerungen gemacht worden sind. Wesentlich für Trepp ist, dass alle diese Gedanken um Jerusalem und das Land aufgeschrieben und durch Jahrhunderte hindurch von den Menschen am Leben erhalten worden sind, was für sich selbst spricht. Ebenso wichtig war für ihn darauf hinzuweisen, dass Juden nie aufgegeben haben, im Land und in der ganzen Region zu leben. Ihn hat es oft bedrückt, dass dem Schicksal der aus den arabischen Staaten vertriebenen Juden so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Genauso wie es ihn bedrückte, dass Viele den Nahostkonflikt einseitig und mit feststehenden Sympathien betrachteten, ohne sich zu bemühen, die historische Dimension des Konflikt zu erfassen. Trepp hat über den Propheten Jesaja und dessen Identität an anderer Stelle geschrieben, so dass hierauf nicht eingegangen wird. In den meisten Fällen hat er die Buber-Rosenzweig-Übersetzung benutzt. Den Vortrag hat er 2009 in Mainz gehalten.

Um Zions willen
darf ich nicht schweigen,
um Jerusalems willen
darf ich nicht stillsein, 
bis für es Bewahrheitung
ausfährt wie Lichtglanz.
Für es Befreiung
wie eine Fackel brennt
(Jes. 62,1)

Dies sei Aufgabe unserer Darstellung zu einer Zeit, in der Israels Feinde diesem Volk den Besitz über Zion und Jerusalem mit Gewalt zu entreißen streben. Ihre Methoden, heute wie in früheren Zeiten, entsprechen in vieler Weise den Vorahnungen und  Voraussagungen des Propheten Jesaja. Früher beruhten sie auf der Macht der Eroberer und auf gewalttätiger Beraubung der Juden. Und wiederholt wurden die Juden von verschiedenen Machthabern unterdrückt. Diese erlitten immer wieder ihren Niedergang, wie es der Prophet vorausgesagt hatte. Die Gegenwart zeigt erneut das Streben mächtiger Kräfte, das unabhängige Israel zu vernichten. Zu unserer Zeit verneinen Viele die Existenz Israels als jüdischer Staat, weitere, manche indirekt oder hinter vorgehaltener Hand, andere offen wie der iranische Präsident, verneinen das Existenzrecht Israels an sich. Es stehe dem jüdischen Volk eigentlich nicht zu, nun die Mehrheit an einem Ort zu stellen, wo vorher einmal eine andere Mehrheit gelebt habe. Wenn auch die Juden die Ländereien nicht „genommen“, sondern meist von arabischen Großgrundbesitzern gekauft haben. Das hat zu Konflikten mit den eigentlichen Bearbeitern dieses Bodens geführt, die dann durch die Teilung in zwei Staaten überwunden werden sollten. Israel hat diesen Teilungsplan anerkannt, die arabische Seite nicht, sondern stattdessen zu den Waffen gegriffen. Und dennoch ist der Staat Israel nun zwar international von den Vereinten Nationen anerkannt, doch ist er der einzige Staat der Welt, der unentwegt vor den Gremien der UN angegriffen und dessen Legitimität in Frage gestellt wird.

Dies alles sind mächtige Kräfte, die bei weitem mächtigste aber, vielleicht sogar gefährlichste Kraft ist der ständig wachsende Antizionismus, besonders in Deutschland und in anderen europäischen Ländern, doch auch anderswo. Er äußert sich in einer Haltung, die unter verblüffender Ignoranz historischer Realitäten, oft gepaart mit einem erschreckenden Nichtwissen über die Moral und Ethik des Judentums, die Palästinenser als Opfer und die Israelis (oft ‚die Juden’) als Täter sieht. Diese Haltung verweigert den Palästinensern die respektvolle Anerkennung als verantwortliche und über ihre Taten und ihr Verhalten frei entscheidende Menschen wie sie den jüdischen Israelis jede Anerkennung ihrer Humanität unter extremen Umständen, ihrer Sorge um andere unter größtem Druck (auch um die Palästinenser) und ihrer wertvollen Beiträge für eine gerechtere und bessere Welt verweigert. Man mag diese Haltung sogar als antisemitisch empfinden, weil sie von als unveränderlich erscheinenden Vorurteilen getragen ist, die Angehörigen einer ganzen Gruppe, nämlich den Juden, gegenüber haben. Wo lese ich von den israelischen Ärzten, die selbstverständlich Palästinenser behandeln und ihnen das Leben retten, wo von den Juden, die versuchen, das Leben der Palästinenser im Gazastreifen zu verbessern, wo von den Soldaten, die trotz der Taktik der Hamas, sich hinter menschlichen Schilden zu sichern, umkehren in ihren Fliegern, weil sie versuchen, so wenige Zivilisten zu verletzten wie möglich? Es ist mir Trost und Genugtuung, dass ich mit meinen muslimischen Studenten über diese Fragen diskutieren kann, und wir uns in Vielem einig sind. Mögen sie den Gedanken der Demokratie und des Dialogs in ihren Heimatländern fördern, wenn sie dorthin zurückgehen.

Heute soll es um den Anspruch der Juden auf das Land gehen. Er ruht auf der Bibel und aktuellem Besitztum im Laufe der Jahrhunderte und änderte sich nicht, wenn den Juden ihr Recht und ihr Besitztum von Machtvölkern geraubt wurde. Juden haben dieses Recht niemals aufgegeben, und sie haben, beinahe ohne Unterbrechung, immer im Land gelebt. In einigen Beispielen soll gezeigt werden, in welcher Weise ihr Anspruch auf der Bibel beruht, und – ebenso wichtig – dass die Quellen nicht etwas sind, dem die Juden vor Jahrhunderten Beachtung schenkten und der Modernität wegen irgendwann aufgaben. Die Geschichten, Gebete und Segnungen, die im Kern immer die Beziehung zu dem Land und zu Jerusalem in sich tragen, haben für die Juden, gleich welcher Richtung, durchgehend bis heute eine elementare Bedeutung, wie wir sehen werden. Sie sind Bestandteil der Liturgie, der Feste, und sie werden zu wichtigen Lebensabschnitten gesagt. Ohne diesen Anspruch auf das Land und die Existenz eines jüdischen Staates hätten sich übrigens nicht nur das Judentum, sondern auch das Christentum überhaupt nicht entwickeln können.

Die Bibel berichtet, dass Abraham, welcher den einen Gott erkannte, den Auftrag erhielt in ein Land zu gehen, das Gott ihm geben werde. Dort werde er gesegnet sein. Gerade um dieses Erbgutes willens habe Gott ihn hierher geführt (Gen.15, 7). Zwar würden seine Nachkommen noch 400 Jahre lang in der Fremde als Sklaven leben müssen, doch dann würden sie für immer zurückkommen (Gen 15,14). „An diesem Tage schloss Gott einen Bund mit Abraham mit den Worten, ‚deinen Nachkommen habe ich dieses Land gegeben, vom Gebirge Ägyptens bis zum großen Strom, dem Strom Euphrat“ (Gen 15,18). Das göttliche Versprechen an Abraham für seine Söhne wird im 17. Kapitel wiederholt: „Ich erhalte meinen Bund zwischen mir und deinen Nachkommen nach dir für ihre Geschlechter, dir und deinen Nachfolgern nach dir Gott zu sein. Und ich gebe dir und deinen Nachfolgern nach dir das Land deines Verweilens, das ganze Land Kanaan zum ewigen Erbbesitz, ich werde ihnen Gott sein. Und Gott sagte zu Abraham, du aber sollst meinen Bund halten, du und deine Nachkommen nach dir für alle Generationen. Dies ist der Bund [...] jede männliche Person sei beschnitten’ (Gen.17, 7-10 ff.).

Aus gegenwärtiger Sicht ist zu sagen, dass die Muslime sich ebenfalls als Nachkommen Abrahams ansehen, und zwar durch Ismael. Sie befolgen die Beschneidung ebenfalls.  Somit ist die Gestaltung eines Landes für zwei Nationen vielleicht eine natürliche Lösung und erfüllt Gottes Versprechen. Der Islam hat, dem Judentum gleich, einen einzigen Gott, erkennt aber, im Gegensatz zu Judentum und Christentum, die Bibel nicht an. Doch kann der Bericht über Abraham und den Bund Gottes mit Abraham nur auf der Bibel ruhen. Für die Juden ist ihr Anspruch auf das Land aufgrund des Versprechens seiner Erfüllung in der Tora seit biblischer Zeit berechtigt, doch gleichzeitig kommt er dem islamischen Anspruch auf versprochenes Land für ihre Region entgegen. Somit kann der Segen, den Gott dem Abraham gab, auf beiden Gruppen – wie auch den Christen – ruhen, dass somit in Gemeinsamkeit und unter Anerkennung  der Verschiedenheit, „alle Völker der Erde gesegnet seien“ (Gen.22,18).

Abraham kauft die Höhle Machpela von ihren Eigentümern, als Erbbegräbnis. Dort sind die Erzväter und  Erbmütter beerdigt, so dass man sagen kann, diese Gruft gehört beiden Nationen zu Besuch und Gebet. Auch Christen sehen Abraham als ihren geistigen Vater an, so dass auch diese gleiche Besuchsrechte besitzen. Unter israelischer Überwachung wurde dies streng befolgt, mit der gleichzeitigen Verordnung, dass zur Zeit des islamischen Gebets nur Muslime dort sein durften.

Doch verengt sich die göttliche Versprechung bezüglich des Landes. Isaak sieht sich als berechtigter Träger der Tradition. Als sein Sohn Jakob auswandern will, segnet ihn der Vater: „Der Allmächtige Gott segne dich und mache dich fruchtbar und vermehre dich, zu einer Gemeinde der Völker zu werden. Und er gebe dir den Segen Abrahams, dir und deinem Samen gleich dir, zum Erbbesitz (gebe er dir) das Land deines Verweilens, welches Gott dem Abraham gab“ (Gen 28, 3-4). Auf seiner Wanderung hat Jakob einen wunderbaren Traum in der Wüste, bevor er die Grenzen seines Landes überquert. Eine Leiter erstreckt sich von Erde zum Himmel, Engel steigen auf und ab. Ganz oben steht Gott, der ihn segnet und spricht: „Ich bin Gott, der Gott deines Vaters Abraham, und der Gott Isaaks, das Land, auf dem du liegst, dir gebe ich es und deinen Nachkommen [...] und durch dich und deinen Samen sollen alle Familien der Erde gesegnet sein.“

Jakob hat ein schweres, abenteuerliches Leben. Sein Sohn Josef, nach Ägypten verschleppt,  wird Vizekönig des Landes und Lebensretter des Volkes während einer Hungersnot. Er bringt Jakob und die ganze Familie nach Ägypten, wo sie ehrenvoll empfangen werden. Der alte Vater, in Todeserwartung, will nicht in Ägypten beerdigt werden. Im Land, in der Höhle Machpela, will er ruhen. So erfüllt es sich auch. Josef hat den gleichen Wunsch. Er findet seine Familie in Ägypten vollkommen eingegliedert, spürt aber, dass dies nicht ihr Land sein kann. Er sieht unsichere Zeiten für sie voraus, und sagt ihr vor seinem Tod: „Ich liege im Sterben, Gott wird euch sicherlich von hier  befreien und euch hinaufbringen in das Land, welches er Abraham, Isaak und Jakob  zugeschworen hat.“ Er beschwört sie, „und dann nehmt meine Gebeine von hier mit euch hinauf“ (Gen. 50, 24-25). Sein Wunsch wurde, der Bibel nach, von Moses beim Auszug aus Ägypten erfüllt (Exod 13,19). Josefs Grab konnte im Land bis vor wenigen Jahren besucht werden. Dann wurde es geschändet.

Die Juden bauten ihre Verbundenheit mit dem Land und ihren Protest gegen fremde Machthaber in ihr Leben und ihre Gebete ein. Sie richteten diese an Gott, und ihr Vertrauen auf Ihn ruhte wesentlich auf den Worten der Liebe an Israel, die der Prophet  Jesaja, im Namen Gottes, zum Kernstück seiner Kündung machte. Möge der Allbarmherzige die Zeit der Erneuerung des jüdischen Landes bald kommen lassen, die Juden hatten so unendlich viel gelitten. Einen kurzen Auszug aus den Worten des Propheten möchte ich zitieren.

Jesaja sagt:
[...] setze ich dich ein
zum Stolze der Weltzeit,
zum Entzücken für Geschlecht um Geschlecht.
Erkennen wirst du, dass Ich (Gott) dein  Befreier bin,
dein Löser der Recke Jaakobs [...]
Als deine Aufpasserschaft
setze ich ein
den Frieden,
als deine Antreiber
die Bewährung […]
ER selber ist dir da
zum Weltzeit-Licht,
ein Gott
zu deiner Pracht.
[...] Die Tage deiner Trauer
sind nun vollendet.
Dein Volk,
allesamt nun sind sie Bewährte,
auf Weltzeit erben sie nun das Land,
Schößling meiner Pflanzung,
Werk meiner Hände,
damit zu prangen […]
Ich (Gott) selber,
beschleunigen will ichs
zu seiner Frist. (Jes. 60 – Auswahl).

Das Land als geistiges Element

Der Anspruch auf den Besitz des immer wieder geraubten Landes wurde niemals aufgegeben, und das Land hat, wie wir kurz angesprochen haben, einen zentralen Platz in Bibel, Liturgie, Lebensphilosophie und Brauchtum der Juden. Diese Ausrichtung ist so einzigartig, dass der Dalai Lama nach dem Raub seines Landes Tibet durch die Chinesen eine Gruppe von Juden einlud, damit diese ihn lehrten, wie Glaube an und Anspruch auf ein ursprüngliches Heimatland inmitten eines langen Exils bewahrt und gefördert werden könnten. Die Juden hatten es geschafft, die Verbindung aufrecht zu erhalten, ihm war dieses Schicksal frisch auferlegt worden.

Das jüdische Gebetbuch ist das älteste in der Welt. Seine Konstruktion geht auf die Zeit des  zweiten Tempels und des Talmuds zurück. Es wurde im 9. und 10. Jahrhundert in Babylonien von Rav Amram Gaon  und Rav Saadia  Gaon redigiert. Zugleich ist es das jüngste, denn es wurde – unter Beibehaltung seiner Struktur – zu jeder  Zeit gemäß der Gegend, der Kultur und der religiösen Ausrichtung der Zeit verändert. Dieser Prozess geht noch weiter. Trotz dieser Änderungen ist es gleichförmig und bildet ein Band für  die gesamte Judenheit. Seine Abschnitte bestehen aus Segnungen, Berachot. Eine Beracha (Singular von Berachot) hat die Form: „Gesegnet seist DU, Gott,… Er, der Schöpfer der Lichter der Natur“. Das Du in der Anrede bringt unsere enge Liebe zu ihm zum Ausdruck, das Er, die dritte Person im zweiten Teil, unseren Respekt für ihn.

Drei tägliche, liturgische Gemeindegebete werden im Judentum gesagt, morgens (Schacharit), nachmittags (Mincha), abends (Maariv), am Schabbat und den Festtagen sind es vier mit einem  Zusatzgebet für den Tag (Mussaf), am Versöhnungstag sind es fünf, neben den anderen ein Schlussgebet (N’ila). Diese Gebete sind so aufeinander abgestimmt, dass sie zwar der Gelegenheit angepasst sind, doch die Grundformulierungen wörtlich voneinander übernehmen. Mit ihnen sind persönliche Eingangssegnungen verbunden, wie beim Anlegen von Tallit und Tefillin.

Es gibt Gebete für Einzelne, wie Segenssprüche über Speise und Trank, das Tischgebet nach einem Mahl mit Brot, das Nachtgebet, die Danksagungen über normale Körperfunktionen und für Gesundung nach Krankheit, Dank an Gott bei guten Ereignissen im Leben, Unterwerfung des Einzelnen unter Gott beim Tod eines Lieben oder harten Ereignissen. In allen Situationen soll der Jude sein ganzes Bewusstsein in Seele und Geist dem Willen Gottes dankbar unterstellen. Dazu kommen die Gebete zu besonderen Abschnitten im Leben: Beschneidung, Bar und Bat Mizwa, Trauung, Beerdigung. Und diejenigen zu sporadischen Ereignissen, bei Gewittern und der Sicht der Größe der Natur, oder von Gott ausgezeichneter Menschen.

Durch diese Gebete zieht sich das jüdische Wissen, dass das Land Israel – Eretz Jisrael – von Urbeginn in einem Bunde Gottes mit den Urvätern, Abraham, Isaak und Jakob deren Nachkommen für alle Ewigkeit als Erbbesitz zuerteilt worden ist, es bildet ein geistig-physisches Element im Judentum. Der Anspruch auf das Land besteht seit 5000 Jahren, kein anderes Volk kann einen solchen Anspruch auf sein Land machen. Zugleich verkündeten ihnen die Propheten im Namen Gottes, ER werde in der Spätzeit das Land  den jüdischen Nachkommen sichern, sollte sich ihre Kraft gegenüber Großmächten zu schwach erweisen, und ihr Argument ihnen gegenüber an deren Gier zerschellen. Zum Zeitpunkt der Rückgabe werde Gott der Welt ewigen Frieden geben, und die Juden Führer und Vorbild für alle Nationen sein. Die Rückgabe des Landes an die Juden war daher eine Gabe an alle Menschen, denn eine neue Gesellschaft konnte nun entstehen, in der Eintracht und Frieden alle Menschen vereinte. Darum finden wir im jüdischen Gebet das Flehen, Gott möge sich mit dem Zeitpunkt der ewigen Übergabe des Landes eilen, damit die jetzt Lebenden unter den Juden, wie die Lebenden der gesamten Menschheit, den Segen dieser neuen Welt genießen könnten. So könnte man sagen, dass auch im Festhalten an dem Land und der Hoffnung seiner vollen, freien Rückgabe das Judentum zur Universalreligion wurde, denn es sucht Frieden und Glück für alle Menschen und ihre Länder.

Das Land im jüdischen Gebet

Gebet ist Flehen zu Gott in Lob und Preis, aber auch die Bitte um oder für Etwas. Ist das Gebet um das Land neben seiner historischen Bedeutung und seiner ewigen Bedeutung als Zeichen der Nähe und Verbundenheit noch aktuell? Zumindest ist die Lage heute wieder kritisch. Lange konnten die Juden nicht selbstbestimmt in ihrem Land leben. Zu schwach, es kämpferisch wieder gewinnen zu können, zu unbedeutend für die Welt, um es auf diplomatische Weise wieder erlangen zu können, fanden sie Gelegenheit und Mut dazu nach vielen Nöten und Verfolgungen, die schrecklichste unter ihnen der Holocaust. Ein kleines Stück des Landes wurde ihnen wieder zuerkannt und von den Vereinigten Nationen als freier Judenstaat anerkannt. Nun streben seine Nachbarstaaten, es ihnen wieder zu entreißen. So findet das Gebet um das Land heute zusätzlich zu seiner immerwährenden Bedeutung eine neue im Judentum: Möge Gott das Streben der Juden unter den Mächten und ihre Selbstverteidigung unterstützen und zum Erfolg bringen. Möge die gesamte Region, zusammen mit Israel, Frieden finden.                 

Eine Übersicht: Morgengebet, Nachmittagsgebet, Abendgebet                             

Das Morgengebet  beginnt mit Meditationen. Dank an Gott für Seinen Schutz zu jeder Zeit für unseren Körper und unsere unsterbliche Seele. Der jüdische Mensch bittet Gott um Schutz vor schlechten Gedanken und schlechten Menschen. Er ist sich seiner Ohnmacht bewusst, und gleichzeitig  tief dankbar für Gottes Gnade, die ihm erlaubt, das Gottesbekenntnis zu sprechen und zu leben. Hymnen zum Lobe Gottes folgen, meistens Psalmen. Das zentrale Gebet beginnt mit dem Ruf an die Gemeinschaft: „Segnet Gott, dem voller Segen zusteht.“ Im Folgenden dankt der Mensch Gott, der täglich die Natur erneuert. Ihm folgt ein Dankgebet für die Liebe Gottes und die Gabe der Tora. Dies führt zum Glaubensbekenntnis: Sh’ma Jisrael…. Das Grundbekenntnis des Juden besteht in dem Ruf: „Höre Israel, der Ewige, unser Gott, der Ewige ist einzig.“ Ihm folgen einige Absätze aus der heiligen Schrift: 1. „Liebe den Ewigen, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele, deinem ganzen Vermögen...“ (Deut. 6,4 ff); 2. „Wenn ihr auf alle meine Gebote hört...“ (Deut. 11,13 ff.); 3. „Und der Ewige sprach zu Moses....“ (Num. 15,37). Dieses Gebet wird vom Einzelnen wie von der Gemeinde jeden Morgen und jeden Abend gesprochen, denn es ruft zur Liebe zu Gott und zur Befolgung seines Willens aus. Im Morgengebet enthält die Einleitung zu dem Glaubensbekenntnis folgende Worte, an Gott gerichtet: „Bringe uns in Frieden von den vier Ecken der Erde und führe uns aufrecht in unser Land, Denn Du bist Gott, der Befreiung schafft...“

An jedem Tag wird dreimal – morgens, nachmittags und abends – die „Schemone-Esre“

gesprochen, das Achtzehngebet genannt, weil es 18 (in Wirklichkeit 19) Berachot enthält, Segnungen, mit Bitten an Gott um die Gaben des Einzellebens, wie der Gemeinschaft, wie ganz Israels. Dieses Gebet heißt auch Amida. Der Beter steht, während er es sagt. Es wird von dem Einzelnen gesprochen und dann vom Vorbeter wiederholt.  So werden dem Betenden die Berachot zweimal hintereinander zu Bewusstsein gebracht. Bußgebete folgen, montags und donnerstags wird die Tora gelesen. Es folgen Abschlussgebete. Unter den Bitten an Wochentagen findet sich: „Nach Deiner Stadt Jerusalem kehre in Erbarmen zurück, residiere in ihr, wie Du gesprochen hast, und erbaue sie baldigst, in unseren Tagen, als einen Bau für alle Weltzeit, und gründe in ihr baldigst den Thron Davids (souveräne Regierung). Gesegnet seist Du, Gott, der Jerusalem erbaut.“ Am Schabbbat und an Festen nimmt ein Dankeswort den Platz der Bitten ein. An diesen Tagen wird eine Zusatz-Amida, das Mussaf, gesprochen. Sie enthält die Worte: „Es sei Dein Wille, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Ahnen, uns in Freude in unser Land hinaufzuführen und uns in unserem Gebiet einzupflanzen [...]“ Zur Amida richten sich die Beter so aus, dass ihre Gesichter nach Jerusalem gerichtet sind. So fließen die Gebete aller Juden der Welt im Land und in Jerusalem zusammen. Die Synagogen der Welt werden beim Bau so ausgerichtet, dass alle Sitze in dieser Richtung angeordnet sind. Die Verbundenheit mit dem Land können wir also selbst in der Architektur erkennen.

Auch im Mincha, dem Nachmittagsgebet, folgt nach Psalm 145 die Amida mit ihrer Wiederholung. Dann spricht der Beter ein Bußgebet. Das Schlussgebet rundet den Gottesdienst ab. Maariv, das Abendgebet, bewegt sich parallel zum Morgengebet. Nach dem Ruf zum Gebet kommt als erste Beracha der Dank für die Nacht, dann eine Danksagung für Gottes Liebe und die Gabe der Tora. Das Glaubensbekenntnis ‚Sh’ma Jisrael’ mit seinen drei Abschnitten wird gebetet, dann wird Gott für seine immer wiederholte Erlösung Israels von den Mächtigen, die es zerstören wollten, Dank ausgesprochen. Ein Bittgebet um Gottes Schutz während der Nacht wird vor Gott gelegt.  Gottes Allmacht und befreiende Güte für alle Menschen werden gepriesen. Dann spricht der Einzelne die Amida, sie wird nicht wiederholt. Ein Schlussgebet beendet den Gottesdienst.

So wird Gott, Urgrund im Rhythmus der Natur, anerkannt. Dies bedingt Aufgaben für Israel und die Menschheit. Morgens und abends wird das Glaubensbekenntnis gesprochen, denn in ihm selbst ist dies geboten: ‚rede davon, wenn du dich legst und wenn du wieder aufstehst’ (Deut. 6,4-9), fünfmal wird die Amida wiederholt. So prägen sich Grundideen ein, und das Land ist eine von ihnen.

Einzelne Gebete und das Land

In der ersten Morgenhymne im Gebetbuch tritt das Land als Zeuge für Gottes Größe auf,

König David singt es:
Danket Ihm,
ruft seinen Namen aus,
Tut unter den Völkern seine Handlungen kund!
Singet ihm,
harfet ihm,
Besinnet all seine Wunder!
Preist euch um den Namen seiner Heiligkeit!
[….] Gedenket der Wunder, die er getan hat,
seiner Erweise
der Gerichte seines Munds,
auf Weltzeit erdauern seine Gerichte
Same Jisraels, seines Knechts,
Söhne Jaakobs, seines Erwählten!
Das ist ER, unser Gott,
in allem Erdreich seine Gerichte.
Auf Weltzeit gedenket Gott seines Bunds,
 – der  Rede, die er hat entboten
auf tausend Geschlechter –,
den er mit Abraham schloss,
seines Schwures an Jitzchak,
er (Gott) erstellte es Jaakob zum Gesetz,
Jisrael zum Weltzeitbund,
(nämlich) sprechend:
Dir gebe ich das Land Kanaan
Schnurbereich eures Eigentums.
Als ihr zählige Leute wart,
geringgültig und gastend darin
[...] ließ er niemand zu, sie zu bedrücken,
ermahnte Könige ihretwegen:
Rühret nimmer an meine Gesalbten,
Meinen Kündern tut nimmer Übel!
(Chronik I, 16)

In Meditation des 135. Psalms, ein Preis der göttlichen Kraft und Liebe, findet der Beter im Morgengebet:

Preiset SEINEN Namen […]
Er, der viele Weltstämme schlug […]
Und gab ihr Land hin als Eigen
Eigen Jisrael seinem Volk…
Gesegnet sei vom Zion her ER,        
der einwohnt in Jerusalem!
Preiset oh ihn!

Als nächste Meditation bringt das Gebetbuch den Psalm 136. Er feiert Gott als Schöpfer des Universums und Herrn der Geschichte:

„denn in Weltzeit währt sein Huld“ – dies ist der Refrain nach jedem Satz

Der durch die Wüste gingen ließ sein Volk, [...]
und herrische Könige erwürgte, [...]
Und gab ihr Land hin als Eigen [...]
Eigen Jisrael seinem Knecht, [...]
Der in unserer Erniedrigung unser gedachte, [...]
Und entriss uns unsern Bedrängern, [...]
Der Speise gibt allem Fleisch.

Als Übergang und Einleitung zum Schlussgesang der Auswahl, nämlich dem Lied am Schilfmeer, bringt das Gebetbuch einen kurzen Auszug aus den Gebeten an einem ehemaligen Bußtag des Volkes, von dem im Buch Nehemija berichtet wird. Mich bringt diese Erwähnung auf eine kleine Episode, die ich erinnere und teilen möchte.

Du bists, DU, Gott,
Der du Abram erwähltest
und führtest ihn heraus vom chaldäischen Ur
und setztest seinen Namen zu Abraham um
und befandest sein Herz getreu dir vorm Antlitz
und schlossest mit ihm den Bund,
zu geben das Land des  Kanaaniters, des Chetiters, des Amoriters, des Prisiters, des Jebussiters und des Girgaschiters,
es zu geben seinem Samen,
und aufrecht erhieltest du deine Rede,
denn du bist bewährt. (Neh. 9, 6-11).

Die Wichtigkeit dieser Auswahl, die weitgehend die anderen Gedanken dieses Teiles wiederholt, wurde mir während eines Gottesdienst in der Synagoge in Mainz bewusst (die Synagoge wurde dann von den Nazis zerstört): Am Tage einer Beschneidung ging der Vater des Kindes am Morgen zur Synagoge, wo ihm ein Ehrenplatz zugewiesen wurde. Zu Anfang des Abschnittes, „und schlossest mit ihm den Bund“ begannen Vater und Mohel (Beschneider) einen Wechselgesang. Es war der Gemeinde klar, dies war der Beschneidungsgesang. Gott schloss den Bund mit Abraham, nicht einen Bund, sondern den ganz bestimmten, Bund, B’rit. Durch die Beschneidung, B’rit Mila, gehört das Kind der jüdischen Samengemeinschaft an ( s. Gen. 17,1 ff.). Im Ritus der Beschneidung später an dem Tag findet sich kein Hinweis auf das Land. Daher wurde er im Morgengebet geschaffen.

Vom Ruf des Vorbeters bis zur Amida sollte im Morgengebet die Andacht keine Bitten enthalten, nur Dankesworte. Trotzdem wurde es als wichtig angesehen, jeder Beracha eine Bitte um das Land anzuschließen.

 

  1. Gott ist Schöpfer und Erneuerer der Natur und ihrer Lichter. Letzter Satz: „Er macht die großen Lichter, denn über Weltzeit erstreckt sich seine Gnade.“ Zusatz – die Bitte um das Land: „Lasse ein neues Licht über Zion erstrahlen, und mögen wir alle bald mit seinem Lichte bedacht werden. Beracha: Baruch atta [...], gesegnet Du […] Schöpfer der Lichter.“
  2. Im  Ausfluß deiner Liebe hast du, Gott uns die Tora und Gebote gegeben, sie sind die Grundgesetze des Lebens. Mögen wir sie immer befolgen, denn in deinen großen und ehrfurchtsvollen Namen legen wir unser Vertrauen, jubeln und freuen uns über deine befreiende Hilfe.

Zusatz – Heimkehr ins Land: „Und bringe uns in Frieden von den vier Ecken der Erde und lasse uns aufrecht in unser Land gehen, denn du bist Gott, Gestalter der Befreiung und uns hast du ausersehen vor jedem Volk und jeder Zunge, und hast uns deinem großen Namen in Wahrheit nahe gebracht, auf dass wir dir dienen, deinem Namen danken, und deine Einigkeit – Einzigkeit in Liebe verkünden.

Beracha: „Baruch atta […] der sein Volk Israel in Liebe ausersehen hat“

Das obige Gebet von der Liebe Gottes führt logisch zum Glaubensbekenntnis: „Höre Jisrael: ER unser Gott, ER Einer! Gesegnet sei der Name des Ehrenscheines seines Reiches für Weltzeit, immer. Du sollst  Gott lieben [...] (Deut.6,4-9). Ein zweiter Absatz paraphrasiert den ersten. Wird Israel Gott untreu, so kann es ein schweres, strafendes Schicksal erwarten. Daher soll es Gott folgen. Die Belohnung findet sich am Ende des zweiten Abschnitts und wird in vielen Gemeinden vom Rabbiner laut verkündet: „damit sich mehren eure Tage und die Tage eurer Söhne (Kinder) auf dem Boden, den Gott euren Vätern zuschwor, ihnen zu geben, wie die Tage des Himmels über der Erde“ (Deut 11, 13-21). Ewiger Besitz des Landes durch das ewige Volk und dessen Verpflichtung, der ewigen Tora treu zu sein. Tora, Volk und Land werden in diesen Abschnitten, aus dem wir nur einen kleinen Teil nannten, zur religiösen Einheit. Die Strafe ist angedroht: Exil zur Erneuerung des Volkes. Doch das Land bleibt sein, wie der Himmel über der Erde. Es kann immer heimkehren. So ist es im jüdischen Bewusstsein geblieben.

Der dritte Absatz des Sh’mas gibt einen Weg, der Tora treu zu sein, wo immer Juden leben. Sie sollen für alle Zeiten ‚Tzitzit‘, Fransen, an die Ecken viereckiger Kleider knüpfen. Diese werden beim Gehen um sie baumeln und vor Versuchungen bewahren, die den Trägern begegnen mögen. So werden sie sich an Gottes Gebote erinnern, „und eurem Gott heilig sein“ (Num.  15,37-41). Aus diesem Gebot entstand dann der Tallit, der Gebetsmantel, wie wohl auch die Stola des christlichen Priesters.

Dem Sh’ma folgt eine  Danksagung an Gott als Befreier Israels aus allen Nöten der  Geschichte, beim Abendgebet noch eine Bitte um Schutz während der Nacht.

Diese Berachot führen zur zentralen ‚Tefila‘, der Amida. Die Struktur ist bedeutungsvoll: Die ersten und letzten drei Berachot sind immer gleich. Die erste der drei Eröffnungs- Berachot preist Gott, den schon die Ahnen seit Abraham und Sarah anbeteten, als Bringer des Erlösers in später Zeit. Die zweite gibt Dank für die Auferstehung der Toten. Die dritte verkündet Gottes Heiligkeit. Bei der Wiederholung sprechen Vorbeter und Gemeinde in Wechselgesang das ‚Sanctus‘, heilig: Kadosch. Kadosch, Kadosch [...] (Jes. 6,3). Die letzten drei Berachot sind ebenfalls gleich: Möge Gott unser Gebet wohlgefällig annehmen. Ein Dank an Gott für die Fähigkeit zu beten. Das Gebet um Frieden in der Welt und für Israel. In den mittleren Berachot sprechen Beter und Gemeinde von ihren täglichen Notwendigkeiten und Sorgen zu Gott. Dazu gehören: Die Bitte um Intelligenz, um die Kraft zur Buße, um Vergebung der Sünden, um Erlösung, um Heilung der Kranken, um ein gesegnetes Jahr, um Erhörung des Gebets, und mehr. Am Schabbat und an Festen werden diese Gebete durch eine Beracha ersetzt, die Dank und Freude ausdrückt. Die Sorgen, welche die Bitten an Wochentagen hervorrufen, schweigen an diesen Tagen.

Gebete um das Land in der Amida

Lasse erschallen das große Horn (Schofar) zur Verkündung unserer Freiheit, und erhebe das Banner, um unsere Vertriebenen allgesamt einzusammeln, und sammele uns ein von allen Enden der Erde. Beracha: Gesegnet seist Du, Gott, der einsammelt die Zerstreuten seines Volkes Israel (10. Beracha).

Nach Jerusalem, deiner Stadt, kehre in Barmherzigkeit zurück und habe den Sitz deiner Gegenwart in ihrer Mitte, wie Du es versprochen hast, und erbaue sie baldigst in unseren Tagen, als einen Bau für alle Weltzeit, und lasse die thronende Herrlichkeit Davids baldigst  erstehen. Gesegnet seist DU, Gott, der Jerusalem wieder erbaut (14. Beracha).

Im ersten der drei Schlussgebete finden wir die Bitte um Zion, die heilige Stätte, sodass sie also auch am Schabbat und an Festen gebetet wird. Und dennoch wird das Land an diesen Tagen auch nachdrücklich erwähnt. Am Schabbat folgt der Heiligung Gottes ein Zusatz: Keduscha – Vorbeter und Gemeinde im Wechselgesang: Erster Gesang der Gemeinde: „Heilig, Heilig, Heilig ist Gott der Umscharte, der ganze Erdkreis ist gefüllt seines Ehrenscheins.“ Zweiter Gesang der Gemeinde nach dem Vorbeter: „Gesegnet sei Gottes Ehrenschein von Seinem Orte“ – nämlich dem ganzen Universum. Zusatz: Vorbeter: „Von Deinem Orte erscheine Du, unser König, und regiere über uns, denn wir harren Deiner. Wann wirst Du in Zion regieren? Es sei bald, in unseren Tagen. Mögest Du dann für Weltzeit ewiglich dort thronen. Groß und heilig wirst Du gefeiert inmitten Deiner Stadt Jerusalem, von Geschlecht zu Geschlecht, und in Triumph nach Triumph.

Unsere Augen werden Dein Reich erblicken. So ist es uns in den Liedern über Deine Herrlichkeit von David, Deinem gerechten Gesalbten vorverkündet worden. Gemeinde: Gott wird in Weltzeit regieren. Dein Gott, o Zion von Geschlecht zu Geschlecht –  Halleluja – Preiset Gott!

In den Schlussgebeten der Amida, sei es an Wochentagen oder Festen, sagt das Gebet, Gott anrufend:  „[...] ihr (Israels) Gebet nimm immer in Liebe und Wohlgefallen auf, und der Gottesdienst Deines Volkes Israel sei immer zu (Gottes) Wohlgefallen. Und mögen unsere Augen es sehen, wenn Du nach Zion in Erbarmen zurückkehrst. Gesegnet seist Du, o Gott, der Seine Allgegenwart nach Zion zurückbringt.“

Tora Lesung

Bevor die Türen der Heiligen Lade geöffnet werden und die Tora Rolle ihr entnommen und in Prozession zur Lesung zum Lesepult getragen wird, singt die Gemeinde: „Keiner ist wie Du unter den Mächtigen, Gott, unser Herr, nichts gleicht Deinem Werke.

Dein Reich ist ein Reich über alle Weltzeiten, und Deine Herrschaft von Geschlecht zu Geschlecht. Gott ist König, Gott war König, Gott wird König sein für alle Weltzeit. Gott wird seinem Volk Stärke geben. Gott wird sein Volk segnen mit Frieden. Vater des Erbarmens, in Deinem Wohlgefallen tue Gutes für Zion, erbaue die Mauern Jerusalems.

Denn auf Dich allein setzen wir unser Vertrauen, hoher, erhabener König, Herr aller Weltzeit.“ Vor der Prozession mit der Tora Rolle werden Jesajas Worte feierlich verkündet: „Denn von Zion geht die Weisung (Tora) aus und das Wort Gottes von Jerusalem“ (Jes 2,3). Zugleich ist dies ein Hinweis auf die Verkündung einer gesegneten Zukunft für die Menschheit, wenn sie der Tora folgt. „Gesegnet sei Er, der in Seiner Heiligkeit die Tora seinem Volk Israel gegeben hat.“

Das Mussafgebet der Feste Pessach, Schawuot and Sukkot beginnt mit einer scharfen Selbstkritik: „Um unserer Sünden willen wurden wir aus unserem Land verbannt.“ Dann folgt die Bitte an Gott. „Es sei Dein gütiger Wille, in Deinem großen Erbarmen, Dich unser und Deines Heiligtums erneut zu erbarmen, es bald zu erbauen und seinen Ehrenschein zu vergrößern […] Unser Vater unser König, enthülle uns bald den Ehrenschein Deines Reiches, lasse uns Anerkennung finden in der Sicht aller Menschen, bringe unsere unter vielen Völkern Zerstreuten Dir nahe, sammele unsere Versprengten von den Enden der Erde. Bringe uns in Jubel nach Zion, deiner Stadt und nach Jerusalem, deinem Heiligtum in Freude durch Weltzeit […]“

Dieser Ruf war einst, und wurde erneut in der Naziverfolgung ein Herzensschrei der verfolgten Juden, und zugleich ihre Hoffnung, die Feier der Feste wie einstmals begehen zu können. Gegenwärtig sehen sich die Juden in freien, demokratischen Ländern nicht als Zersprengte an, sondern als Bürger ihrer Geburtsländer. Dennoch ruht diese Freiheit für sie nicht zuletzt in dem Wissen, dass sie in ein unabhängiges Israel gehen können, sollten sie dies wünschen oder sollte es nötig sein. Dies wurde den Juden in der Nazizeit tragisch bewusst, als Großbritannien über das Land herrschte, und die Möglichkeiten zur Einwanderung für Juden mit großer Härte verminderte, was tausende von Juden das Leben kostete. Hätte Israel damals die Unabhängigkeit besessen, die dem Land zustand (die Balfour Deklaration machte es bereits 1917 zur jüdischen Heimstatt), wäre die Einwanderung von vielen, vielen Juden eine der historischen Lebensrettungsaktionen gewesen.

Besondere Tage

Ein ganz unbedeutender Freudentag hat in unserer Zeit wieder Bedeutung gefunden,

es ist der 15. Schewat, der meist in den Februar fällt, zwei Monate vor dem Pessachfest. Wir nennen ihn Tu b’Schewat. Gemäß dem Talmud gilt er als Neujahrstag der Bäume im Land Israel. In vielen Synagogengärten pflanzen neuerdings die Kinder solche Bäumchen, andere Synagogen haben an diesem Tag Pflanzaktionen für Obstbäume in Gärten, deren Produkte allein den Bedürftigen zugute kommen. So wird die Bedeutung des Tages für Juden transformiert in eine Mizwa, die allen hilft. Für die Juden vertieft sich damit die Verbundenheit mit Eretz Jisrael als Land und als Verpflichtung.

Der Seder des Pessachfestes: Dieses Frühlingsfest ist „das Fest unserer Freiheit“. Gemäß der Bibel wurde in der Nacht des Auszugs der Israeliten von Sklaverei zu Freiheit ein Familienfest gefeiert, mit einem Opfer, ungesäuertem Brot (Matze) und bitteren Kräutern. Diese Familienfeier am ersten Abend des Festes wurde im Laufe der Jahre den Veränderungen in jüdischen Lebensumständen angepasst – Tieropfer zum Beispiel gibt es nicht mehr. Zu dieser Feier, die sich um den Familientisch entfaltet, besteht aus alter Zeit eine liturgische Form oder „Seder“ (Ordnung), nach der die ganze Feier „Seder“ heißt. Diese Familienfeier, der Seder, ist zu unserer Zeit in allen Richtungen des Judentums eine der am meisten verbreiteten Feiern geworden. Ihr Ziel ist die Erinnerung an die Vergangenheit als Aufgabe für die Zukunft, und diese ist die Freiheit für alle Menschen zu erlangen. Diese universale Freiheit ist für Juden in der Freiheit des Landes Israel symbolisiert und realisiert. Darum findet sich diese Hoffnung in der Klimax der Feier. Sie summiert die Bedeutung der Feier, und führt vom Beginn der Freiheit in jüdischer Antike zu ihrer vollen Erfüllung in der Späte unserer Tage. Der Gesang, dessen Melodie zum „Leitmotiv“ des Festes wurde, steht fast am Ende der Feier: „Allmächtiger Gott, erbau Deinen Tempel bald wieder in unseren Tagen.“ Im deutschen Brauch wünschten wir uns „Baue gut“ oder Mögen wir gut erbauen“, nämlich das Land und sein Heiligtum, möge Gott unsere Bitte gewähren. An Sukkot, dem Laubhüttenfest, schließt das Tischgebet nach Mahlzeiten die Bitte ein: „Der Allgegenwärtige Gott, ER richte die Hütte Davids, die niedergefallen ist, wieder auf.“

Am jüdischen Neujahrsfest, Rosch Haschana, finden wir neben den Worten für das Fest das Folgende: „Gib Ehre, o Gott, Deinem Volke, Ruhm denen, die Dich fürchten, Hoffnung denen, die Dich suchen, Freude Deinem Lande, Jubel Deiner Stadt [...] Dann werden die Frommen es sehen und sich freuen, die Aufrichtigen jubeln, die Frommen in  Jubel jauchzen, Verleumder ihren Mund zumachen, und alles Böse wie Rauch vergehen, wenn Du die Herrschaft des Frevels von der Erde vernichtest. Dann wirst Du, Gott, allein über alle Deine Geschöpfe auf dem Berg Zion, dem Heiligtum Deines Ehrenscheins und in Jerusalem, Deiner heiligen Stadt, regieren, [...] wie es in Deinem heiligen Wort geschrieben ist: ‚Gott wird durch alle Zeit und Raum regieren, Dein Gott, o Zion, von Generation zu Generation. Halleluja (lobet Gott).“ An Jom Kippur, dem Versöhnungstag, dem höchsten Feiertag des Jahres, haben wir die gleichen Worte wie an Rosch Haschana.

Die drei Sommerwochen zwischen dem Fasttag des 17. Tammuz und dem Trauertag, des 9. Av – Tischa b’Av – sind durch Trauer um das Land ausgezeichnet. Der erste Tag ist ein Fasttag, denn an ihm wurden im Jahre 70 die Wälle Jerusalems von den Römern durchbrochen, 30 Tage später, am 9. Av, fiel der Tempel, das Land verlor seine Unabhängigkeit. Dieser Tag ist tiefster Trauertag, die Juden fasten, beginnend am Vorabend bis zur folgenden Nacht. Wie Trauernde sitzt die Gemeinde auf niedrigen Stühlen, zur Kasteiung nehmen sie die Schuhe ab, gleich einem Trauernden, der seinen Lieben nach dem Tod noch nicht beerdigt hat, tragen die Juden im Morgengottesdienst weder Gebetmantel – Tallit, noch Gebetsriemen – Tefillin. Am Vorabend wird die Klagerolle  des Propheten Jeremia gelesen, den Morgen über singt die Gemeinde Trauerlieder im Gottesdienst.

Einige Jahre nach diesem furchtbaren Verlust, versuchten die Juden, von Bar Kochba angeführt, noch einmal, das Land durch Waffengewalt wieder zu erringen. Erneut wurden sie besiegt, und nun änderten die Römer den Namen des Landes von Judäa zu Palästina, nach den lang verschwundenen Philistinern, um den jüdischen Besitz des Landes aus der Geschichte zu löschen. Dennoch blieb das Land das Zentrum für die Juden. Ihre  Bevölkerungszahl war bedeutend, ihr „Fürst“ wurde von Rom durch einen Ehrennamen ausgezeichnet. Der „Jerusalemer Talmud“ entstand. Dies änderte sich erst, als das Römische Reich das Christentum zur Staatsreligion erhob. Im Kreuzzug zur Gewinnung der christlichen heiligen Stätten aus der Hand des inzwischen entstandenen Islam wurden auch die Juden hingemetzelt. Von nun an war ihre Zahl im Lande gering, sie waren arm, doch ist das Land niemals ohne Juden gewesen.

Die Bedeutung des Landes für das Judentum ist so wesentlich, dass jedes Tischgebet nach einer Mahlzeit die Verbindung zu Bewusstsein bringt. Das Gebet beginnt mit einem Psalm, an Wochentagen mit Psalm 137, am Schabbat und an Festen mit Psalm 126. In Psalm 137 heißt es:

An den Stromarmen Babylons,
dort saßen wir und wir weinten,
da wir Zions gedachten.
An die Pappeln mitten darin hingen wir unsere Leiern.
Denn dort forderten unsere Fänger
Sangesworte von uns,
unsere Folterer ein Freudenlied:
„Singt uns was vom Zionsgesang!“
Wie sängen wir SEINEN Gesang
auf dem Boden der Fremde! Vergesse ich, Jerusalem, dein,
meine Rechte vergesse den Griff!
meine Zunge hafte am Gaum,
gedenke ich dein nicht mehr,
erhebe ich Jerusalem nicht
übers Haupt meiner Freude.

Psalm 126 spiegelt die festliche Stimmung des Tages, die Heimkehr nach langer Zeit:

„[...] Wann er heimkehren lässt die Heimkehrerschaft Zions,
werden wie Träumende wir.
Lachens voll ist dann unser Mund,
unsere Zunge Jubels.
Man spricht in der Stämmewelt (unter den Völkern) dann:
„Großes hat ER an diesen getan!“
Großes hatte an uns ER getan,
Frohe waren wir geworden.
Lasse, DU, uns Wiederkehr kehren
wie den Bachbetten im Südgau!
Die nun säen in Tränen,
im Jubel werden sie ernten.
Er geht und weint im Gehn,
der austrägt den Samenwurf,
im Jubel kommt einst, kommt,
der einträgt seine Garben.

Gedanken, ähnlich im Umkehrschluss: Den Verschleppten haftet die Zunge am Gaumen, den Heimkehrern ist Lachen und Jubel erteilt worden. Tränen werden zu Jubel, denn jede Saat, physisch wie geistig, kommt zur Ernte. Im Tischgebet wird dann dem Dank über das Land und der Bitte um Heimkehr weiter Ausdruck gegeben. Dem Dank für die Speise folgen die Worte: „Lob sei Dir gegeben, Ewiger, unser Gott, dass Du unseren Ahnen ein liebliches, gutes und geräumiges Land als Erbbesitz gegeben hast [...] Dann wird gedankt für „die Tora, die du uns gelehrt hast, für deine Gebote, die du uns bekannt gegeben hast […] für Leben, Gnade und Liebe, mit denen Du uns begnadet hast, und für die Speise, durch die Du uns speisest und erhältst, an jedem Tag, zu  jeder Zeit und jeder Stunde. Für all dies, Gott, unser Gott, danken wir Dir und segnen Dich, es sei Dein Name im Munde aller Lebenden immer, für alle Weltzeit gesegnet, wie es geschrieben steht: ‚Du wirst essen und satt werden, und wirst segnen Gott, deinen Gott für das gute Land, das er dir gegeben hat.” Beracha: “Gesegnet seist DU […] für das Land und die Speise […] Erbarme Dich, Ewiger, unser Gott Deines Volkes und Deiner Stadt Jerusalem, und Zions, des Innewohnens Deines Ehrenscheins, des Reiches Davids, Deines Gesalbten und des großen und heiligen Hauses, über dem Dein Name genannt wird [...] und erbaue Jerusalem, die heilige Stadt, bald in unseren Tagen.“ Nun singt die ganze Tischgemeinschaft: „Gesegnet seiest Du, O Gott, der in Seiner Gnade Jerusalem wieder erbaut. Amen.“ Nach jedem Mahl, das Brot enthält, wird das Tischgebet gesagt. Es durchzieht das ganze Jahr. Es ruht auf einer Vorschrift der Tora, die dies nach einer kurzen Beschreibung der Vorzüge des Landes gebietet. Der zweite Teil des Tischgebetes besteht dann großen Teils auf Bitten um Segen für Familie und Gemeinschaft.

Das Paar unter der Chuppa

Wie das Land alle Gebete durchzieht, so ist der Gedanke daran mit uns, wenn wir an den Meilensteinen des jüdischen Lebens stehen. Eine der höchsten Freuden ist die Trauung, der Augenblick, in welchem zwei liebende Menschen das Band des Lebens vor Gott und versammelter Gemeinde schließen. Auch hier ist das freie jüdische Land ein symbolischer und zielgebender Zeuge des Augenblicks. Die Zeremonie verbindet den jüdisch legalen Teil mit dem religiösen. Zum ersten gehören der Trauring und das Traudokument, die Ketuba. Zum zweiten gehören die sieben Segnungen, die der Rabbiner über das Paar ausspricht. Die Ebenbildlichkeit des Menschen wird betont. Freuen sollen sich beide in ihrer Gemeinsamkeit, wie Gott sich ihrer erfreut, die Kraft ist ihnen vom Schöpfer gegeben worden. Die fünfte und die siebente Segnung befassen sich mit der Bedeutung des Landes. Die fünfte sagt: 

Juble, Entwurzelte,
die nicht geboren hat,
brich in Jubel aus, jauchze,
die nicht gekreißt hat,
denn mehr sind
der Söhne der Verstarrten
als die Söhne der Verehlichten
hat ER gesprochen (Isa.54,1)
Beracha: Gesegnet seist Du, Gott,
der Zion durch seine Kinder erfreut.

„Die Unfruchtbare“ bedeutet laut Jesaja: Zion und Jerusalem, deren Kinder nach der Erlösung zurückgekommen sind.

Die siebente Segnung sagt:
Gesegnet Du, unser Gott, König der Weltzeit,
der Jubel und Freude schuf,
den Bräutigam und die Braut
[...] Bald, o Gott, unser Gott, werde gehört
in den Städten Judas und den Gassen Jerusalems
Stimme von Jubel und Stimme von Freude,
Stimme von Bräutigam und Stimme von Braut,  
jubelnde Stimme der Bräutigame von ihrem Traubaldachin 
und der Jugend in ihren Gesängen zum Mahl
(Beracha:) Gesegnet, der den Bräutigam mit der Braut erfreut.

Die Quelle dieser Beracha findet sich in Jeremia, und zwar als Strafandrohung sowie der Verkündigung des einst rückkehrenden Glücks. Die Strafandrohung lautet:

So hat ER der Umscharte gesprochen, der
Gott Jisraels,
wohlan, ich verabschiede von diesem Ort,
vor euren Augen, in euren Tagen
Stimme von Wonne und Stimme von Freude,
Stimme von Bräutigam und Stimme von Braut (Jer. 16,9 und 25,10)
Die Verkündung neuen Glücks finden wir in den Worten:
So hat ER gesprochen:
Hören soll man noch an diesem Ort,
davon ihr sprecht: Verödet ist er, ohne Menschen, ohne Vieh!  
in den Städten Judas und den Gassen Jerusalems,
den verstarrten, ohne Menschen, ohne Insassen, ohne Vieh,
Stimme von Wonne und Stimme von Freude,
Stimme von Bräutigam und Stimme von Braut
Stimme derer, die sprechen:
Danket IHM, dem Umscharten, denn er ist gütig,
IHM, denn in Weltzeit
währt seine Huld [...]
Ja, Wiederkehr lasse ich kehren dem Land,
wies vormals war,
hat ER gesprochen (Jer. 33, 11-13).

In jeder Trauung steht das Paar zwischen Vergangenheit und  Zukunft. Möge die Zukunft sich in seiner Lebenszeit verwirklichen.

Es gibt eine weitere Erinnerung an den Fall Jerusalems und an die Tragik, die den Juden in ihrer Geschichte begegnete. Vor oder an einem in die Wand der Synagoge eingemauerten Stein zerbricht der Bräutigam am Ende der Trauung ein Glas. Es ist die Erinnerung während der glücklichsten Stunde des Paares daran, dass Jerusalem noch immer gebrochen und jüdisches Leben unsicher ist. Möge das junge Paar durch seine Liebe und durch sein Leben dazu beitragen, dass – mit Gottes Hilfe – der Bruch sich bald in ungetrübte Freude verwandle.

Tod und Beerdigung

Im Judentum gibt es die Chewra Kadischa, die heilige Vereinigung aus ausgewählten, bewährten Männern und Frauen, die dafür sorgen, dass die Sterbenden und dann die Verstorbenen bis zur Aufschüttung des Todeshügels von freiwilligen Brüdern und Schwestern umsorgt sind. Mit den Sterbenden sprechen sie oder sitzen in Schweigen, lesen Psalmen, sprechen das Sündenbekenntnis und das Glaubensbekenntnis. Für den Toten hämmern sie einen Sarg aus unpoliertem Holz zusammen. Sie waschen den Toten. Dann gießen sie reines Wasser über den Körper mit den Worten: „Ich sprenge reines Wasser auf euch, dass ihr rein werdet: von allen euren Bemaklungen, von allen euren Dreckklötzen reinige – a-taher – ich euch (Hes. 36,25). Nach dem Wort „a-taher“ wird die Waschung „Tahara,“ Reinigung, genannt, das geistige Element gibt ihr die Bedeutung.

Der abgetrocknete Körper wird dann in schlichte, weiße Leinengewänder gekleidet, die in der Antike von den Rabbinen im Land Israel eingeführt wurden, damit alle Menschen im Tod gleich seien. Jeder Schmuck ist verboten. Der Körper wird im Sarg in ein großes weißes Tuch gehüllt. Auf dieses wird von Kopf bis Fuß Erde aus Israel gestreut. Symbolisch kehrt der Jude, in einst in seinem Land eingeführten Gewändern gekleidet, in die Erde seines Landes zum ewigen Schlaf zurück. Nach der Beerdigung preisen Gemeinde und Hinterbliebene den ewigen Gott, der die Toten zum ewigen Leben führt und die Stadt Jerusalem wieder erbaut, und über alle Welt, sein Reich, in Ewigkeit regieren wird. Nun bilden die Anwesenden zwei Reihen, die sich einander sehen. Die Leidtragenden gehen durch das Spalier hindurch und erhalten die Worte des Trostes: „Der Allgegenwärtige (Gott) tröste dich (oder euch) inmitten (unser aller) Übrigen, die um Zion und Jerusalem trauern.“ Dies ist ebenfalls der Gruß an die Trauernden bei Besuchen in ihrem Heim und in Briefen.

Das ganze Leben hindurch, von dem Augenblick, wenn junge Menschen sich verbinden, Eltern zu werden, bis zu der Stunde, da Kinder von den verstorbenen Eltern Abschied nehmen, durchzieht das Bewusstsein des Landes die Juden. Es erscheint im täglichen Leben, in Studium und Liturgie, Gesetz und Brauchtum. Von diesem Land, dem Zentrum jüdischen Lebens von Anbeginn bis zu unserer Zeit, strömt Kraft und der Wille zum Überleben den Juden zu, wo immer sie leben mögen. Abraham Joschua Heschel hat gesagt, man dürfe in der Rückkehr und dem Neubesitz eine Gnade Gottes sehen, der sich nach der Schoa wieder seinem Volk zugewendet habe.

Im Jahr 1929, als ich 16 Jahre alt war, wurden alte Juden, die täglich in der Höhle Machpela beteten und studierten, von Feinden hingemetzelt. Die Rabbiner in der Diaspora erlegten einen Tag des Fastens und der Buße auf. Ich habe gefastet. Die Juden des Landes mögen damals gelernt haben, nicht nur zu beten, sondern sich auch zu verteidigen, und gleichzeitig der ganzen Gegend zum Segen zu werden, dass alle dort Speise und Ruhe besitzen könnten, sobald alle den Frieden wollen. Dieser Versprechung werden sie treu bleiben.

So ruft, in ewiger Aufgabe und Erwartung der Prophet Jesaja vom Land aus die Menschheit aller Zeiten an:

Geschehn wirds in der Späte der Tage:
festgegründet ist der Berg SEINES Hauses
zu Häupten der Berge,
über die Hügel erhaben,
strömen werden zu ihm die Weltstämme alle,
hingehn Völker in Menge,
sie werden sprechen:
„Lasst uns gehn, aufsteigen
zu SEINEM Berg,
zum Haus von  Jaakobs Gott, dass er uns weise in seinen Wegen,
dass auf seinen Pfaden wir gehn!
Denn Tora geht von Zion aus,
von Jerusalem SEINE Rede.
Richten wird er dann zwischen den Weltstämmen,
ausgleichen unter der Völkermenge:
ihre Schwerter schmieden zu Karsten sie um, ihre Speere zu Winzerhippen,
nicht hebt mehr Volk gegen Volk das Schwert,
nicht lernen sie fürder den Krieg.
Haus Jaakobs, lasst nun uns gehen, einhergehn in seinem Licht (Jes. 2, 2-5).

Jesaja sieht die Notwendigkeit eines jüdischen Zions als Voraussetzung für den Weltfrieden an. Darum spricht er von Cyrus, dem Kaiser der Medier, der die Juden nach babylonischer Verbannung wieder in ihr Land zurückzukehren erlaubte, mit großer Verehrung. Der Prophet bezeichnet diesen Nichtjuden, der den Juden ihr Land wiedergibt, als Messias. Das Ziel des Landes Israel ist es, dass dort eine freie Gemeinschaft lebe, die Wahrhaftigkeit, Freiheit, Bewährung und eine fruchtbare Erde vorbildlich gestalte – nicht nur für sich, sondern für die Menschheit. Wenn Israel unter seinen Nachbarn Frieden findet, dann gewinnt, gemäß den Worten Jesajas, der ganze Nahe Osten sein Glück:

An jenem Tage wird eine Straße von Ägypten nach Assyrien sein,
kommen wird Assyrien zu Ägypten und Ägypten zu Assyrien,
dienen werden sie, Ägypten mit Assyrien. 
An jenem Tag wird Israel das Dritte zu Ägypten und zu Assyrien sein,
ein Segen im Innern des Erdlands, 
wozu ER der Umscharte  es gesegnet hat,
sprechend:
Gesegnet Ägypten, mein Volk,
und Assyrien, Werk meiner Hände,
und Israel, mein Eigentum!  (Jes. 19, 23-25)

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