Gedanken zur Stellung der Frau

von Leo Trepp

Die Stellung der jüdischen Frau war im Altertum der Stellung ihrer nichtjüdischen Genossin weit überlegen. Durch die Geschichte hindurch war und bleibt sie als Gattin ihres Mannes und Mutter ihrer Kinder wertvollste Führerin. Sie war die Meisterin im Haus. Dafür müssen wir dem ethischen Prinzip im Judentum dankbare Anerkennung aussprechen. Aus dem gleichen Gefühl ethischer Verpflichtung erwächst uns jedoch die Aufgabe, die Lage der Frau in der Neuzeit zu überprüfen und der Frau ihr Recht zu geben.

Ein doppeltes Unrecht wurde der Frau zugefügt: Die Rechte, die sie unter der Halacha, dem Religionsgesetz, besaß, wurden ihr immer mehr beschnitten, und gleichzeitig wurde ihr der Glaube eingeflößt, ihre Entrechtung beruhe völlig auf dem Wort der Tora. So wurde schließlich dem Mann der stolze Segensspruch zuerteilt: „Gesegnet seiest DU, der mich nicht als Weib erschuf.“ Die Frau nahm ohne Widerspruch den Segensspruch an, der ihr geboten wurde: „Gesegnet seiest DU, der mich nach Seinem Willen erschuf.“ Versuche in neuerer Zeit, den Spruch des Mannes so umzudeuten, als danke er lediglich für seine erhöhten Pflichten, erscheinen nicht überzeugend. Mit Recht wurde dieser Segensspruch in den nicht-orthodoxen Gebetbüchern ausgemerzt.

Im Grunde genommen ist der Geist der Tora paternalistisch. Die völlige Gleichstellung der Frau, an die der Verfasser glaubt, bedarf beträchtlicher Einschnitte und neuer Überlegungen aus dem Geist des Judentums heraus, die eine Entwicklung auch im Gesetz fordern. Doch davon soll hier nicht die Rede sein. Wir wollen lediglich versuchen, an einigen Beispielen zu zeigen, wie auch innerhalb der Halacha der Frau Rechte zuerkannt werden können, die sie im Grunde schon besitzt. Dieser Artikel sei sowohl als Einladung zur Kritik an meinen Schlüssen wie zum Weiterdenken angesehen.

Ein Bericht im Talmud zeigt uns den Ansatz zur Entrechtung der Frau. Am Ausgang des ersten Tages von Sukkot, dem Laubhüttenfest, beging man eine einzigartige Freudenfeier. Man begab sich in den Vorhof der Frauen. Nun begann ein großes Lichtfest. Musik und Sang füllten den Tempel und ergossen sich, mit dem Licht, über die ganze Stadt Jerusalem. Die Meister tanzten und führten Akrobatenkünste vor. „Anfangs saßen die Frauen innerhalb des Hofes (der ja für sie bestimmt war), die Männer saßen außerhalb. Es kam jedoch zu Leichtfertigkeiten. So ordnete man an, die Männer sollten innen sitzen, die Frauen außen.

Doch kam es immer noch zu Leichtfertigkeiten. Daher ordnete man an, die Frauen sollten oben sitzen, die Männer unten“ … „Anfangs war sie (die Mauer um den Frauenvorhof) glatt, dann baute man eine Galerie; die Frauen hatten oben zu sitzen, die Männer (durften) unten (sitzen)“ (Sukkah 5lb). Die Frauen wurden somit einfach aus ihrem Vorhof verdrängt und für alle Zukunft auf die Frauengalerie verwiesen. Sie wurden aus dem Gesichtskreis der Männer gebracht, damit diese sie nicht verführten. Später wurde die Trennungswand noch durch einen Vorhang oder ein Gitter vor der Frauensynagoge verstärkt. Die Männer übten ihre Macht aus und verkündeten ihr Vorurteil. Die Frau war für das Erwachen der Triebe im Manne verantwortlich. Der Trieb im jüdischen Mann war stark. Um ihn zu überwältigen, galt es, die Frau auszuschließen. Sie wurde als Versucherin gebrandmarkt. Jeder Teil ihres Körpers war eine „Blöße“, ein Gegenstand der Lust (Maimonides: Hilchot K’riat Sch’ma 3:16), sogar ihre Stimme.

Zeugt das nicht eher gegen den Mann? So sollte ein unverheirateter Mann nicht als Kinderlehrer bestellt werden „wegen der Mütter, die ihre Kinder bringen“. War er verheiratet, so konnte die eigene Frau ihm zu Hause Genüge geben. Eine Frau war nicht zur Lehrerin zu bestellen „wegen der Väter, die ihre Kinder bringen“, damit sie nicht in Versuchung kämen, selbst wenn die Frau verheiratet war, denn sie könne ihren Mann zu Hause nicht um Befriedigung ersuchen; es sei nicht ihre Art. Auch könnten die Söhne in der Schule mit der Lehrerin zeitweilig allein sein (Schulchan Aruch: Joreh De’ ah, Hilchot Melamdim 245:20; s. Ture Sahar g. St.). Denn einem Mann war es ja verboten, sich allein mit einer Frau in einem Raum aufzuhalten; ein beschämendes Urteil über die Männer und eine traurige Verkennung der Frau und ihrer Ehre. In der Neuzeit wurde das Verhältnis der Geschlechter dadurch normalisiert, dass man beide zusammen unterrichtet und sie gemeinsam aufwachsen lässt. Im traditionellen Judentum dagegen wurden die vermuteten Gefahren dadurch beseitigt, dass man die Frauen immer mehr vom Leben ausschloss. Die männlichen Triebe mussten durch ein immer intensiveres Tora-Studium sublimiert werden, von dem die Frauen fern zu halten waren. Da die Männer die Macht besaßen, gelang auch das. Frauen waren an alle Verbote gebunden, doch waren sie frei von Geboten, deren Erfüllung an eine bestimmte Zeit gebunden war: Mitzwot asseh sahe-ha-s’man geramah. Darunter fielen Tallit, Tefillin, Schofar, Lulaw usw. Das Studium der Tora fällt nicht darunter, denn die Tora muss Tag und Nacht erforscht werden. Dennoch wurden Frauen vom Lernen ausgeschlossen. Obwohl einige der Rabbiner erklärten, solches Lernen sei verdienstvoll, erklärten andere kategorisch: „Wer seine Tochter Tora lernen lässt, der lehrt sie Wege zur Ausschweifung” (Mischnah Sotah 3:4). Man leitet die Pflicht des Vaters, lediglich dem Sohn Unterricht zu geben, aus dem Schriftvers ab: „Lehret sie (die Tora) eure Söhne (5. Buch Mose 11:19), die Söhne und nicht die Töchter“ (Kidduschin 29b).

Wie aber konnte man Frauen einfach vom Gebot, Tora zu lernen, befreien? Man stützte sich auf eine Auslegung der Schrift. Die Tefillin sind Zeichen: „damit die Tora Gottes in deinem Munde sei“ (2. Buch Mose 13:9). Da Frauen von Tefillin befreit sind, so seien sie auch vom Tora-Lernen befreit (Kidduschin 35a), obwohl das Lernen an keine bestimmte Zeit gebunden ist. Sehr überzeugend wirkt das nicht. Da es außerdem gelehrte Frauen gab, wie B’ruriah, die Gattin des Rabbi Meir, musste man zugeben: Eine Frau, die Tora lernt, erwirbt sich damit ein Verdienst, doch sei dieses nicht so groß wie das des Mannes, da sie zum Studium nicht verpflichtet sei. Aber, im Grunde genommen sei es verboten, Frauen Tora zu lehren, denn sie hätten keine Konzentrationsfähigkeit, und ihr Geist schweife leicht ins Unsinnige ab. Bestenfalls möge der Unterricht in der Schriftlichen Lehre erlaubt sein, da die Tora von einer Belehrung der Frauen spricht (5. Buch Mose 31: 12), aber die Mündliche Lehre sei ihnen versagt, bis auf die den Haushalt betreffenden Gebote, die sie kennen müssen (Joreh De’ah, Hilchot Jalmud Tora 246: 6). An sich hätte man das Verdienst der Frauen als größer ansehen müssen, da sie sich freiwillig dem Lernen unterziehen. Daher kam man zur Erklärung, Männer konzentrierten sich mehr, da sie zum Lernen verpflichtet seien. Außerdem seien die Frauen den Männern geistig und emotional unterlegen, würden sich also bestimmt nicht konzentrieren. Grundsätzlich erscheint es daher, dass die Frau zum Vollstudium der Tora berechtigt ist.

Sieht man das Lernen als Freude an, als göttliche Gabe, die den Juden in dieser Welt seiner Sorgen entzieht und ihn gleichzeitig auf die künftige Welt vorbereitet und ihn ihrer würdig macht, so versteht man vielleicht, warum Männer sich ganz der Tora widmen wollten und – wie schon im osteuropäischen “Schtetl” – den Frauen oftmals den Broterwerb aufbürdeten. Dem Mann war das Privileg gegeben. Jedoch sollte die Frau, aus der gleichen Überzeugung heraus und dem Grundgedanken der Halacha folgend, ebenfalls zu diesem Privileg berechtigt sein.

Die Frau wurde aus dem öffentlichen Leben verdrängt: Am Anfang des Traktats Chullin erklärt der Talmud ausdrücklich, dass Frauen für die Tätigkeit eines Schochet (Schächters) qualifiziert sind (Chullin 1). Der Schulchan Aruch erklärt ohne jede Begründung: „Wir lassen sie nicht“ (Joreh De’ah, Hilchot Schechitah 1: 1, s. Anmerkung des R’mo). Mehr verfeinert ist die Begründung, das Wirken der Frau in der Öffentlichkeit verletzte „die Würde der Gemeinde“. Das kann nun generell angewandt werden. Speziell trifft es auf das Lesen aus der Tora zu: ‚Die Rabbanan lehrten: Jeder ist zu den sieben (die Beter, die am Schabbat zur Tora aufzurufen sind, und, wenn sie können, ihren Abschnitt selbst lesen) zugelassen, auch ein Minderjähriger und auch eine Frau. Doch sagten die Weisen, eine Frau dürfe vor der Gemeinde aus der Tora nicht vorlesen im Hinblick auf die Würde der Gemeinde (mischum kewod ha-sibbur) (Megillah 23a). Raschi änderte den Sinn dieser Stelle: Es entspreche nicht der Ehre der Tora, wenn eine Person, die nicht zum Lesen verpflichtet ist, in Gegenwart anderer vorlese, die zum Lesen verpflichtet sind. An anderen Stellen zeigt es sich jedoch, dass nicht dies, sondern das Folgende gemeint ist: Man soll die Tora nicht in Gegenwart der Gemeinde umrollen, sondern vorher, da dies die Gemeinde warten lasst, was gegen die Würde eben dieser Gemeinde ist. Hier ist der Sinn ganz klar (siehe Maimonides: Hilchot Tefillah 12: 17 sowie Schulchan Aruch, Orach Chajim: Hilchot K’riat Ha-Torah 144: 3). Inwiefern ist nun eigentlich, wenn es um die Jüdin geht, die Würde der Gemeinde verletzt? Doch nur dann, wenn man der Frau das Tora-Studium generell versagt hat! Dann kann gesagt werden: Ist denn kein Mann da, der vorlesen kann? Gibt man ihr aber das Recht zum Tora-Studium, dann kommt die Frage gar nicht auf: Männer lesen und Frauen lesen. Das traditionelle Argument bewegt sich also im Kreis. Stößt man zur Grund-Halacha vor, so kann man in der Tat plädieren, dass dem Aufrufen der Frau nichts im Wege steht – es sei denn die Gewohnheit. Zugleich fällt neue Verantwortung auf die Männer: Lernt ihr nicht, so übernehmen es die Frauen. Lernt ihr beide, so seid ihr euch beide gleich. Das Minjan besteht aus Männern. Es gibt jedoch zumindest eine Gelegenheit, bei der Frauen ein Minjan bilden, nämlich wenn eine Frau den Dankessegen für Rettung aus Gefahr vor einer Gemeinschaft sprechen muss, in diesem Fall einer Frauengemeinschaft. Es wäre daher durchaus denkbar, dass Frauen einen eigenen Gottesdienst für sich selber schaffen, mit eigenem Minjan und eigener Tora-Lesung. Allerdings ging das konservative Judentum darüber hinaus, indem es Frauen zum Gesamt-Minjan zu rechnen erlaubt, und ihnen das Recht gibt, zur Tora aufgerufen zu werden – falls die Gesamtgemeinde der Neuerung zustimmt.

Dürfen Frauen Tefillin legen? Der Grund-Halachah nach dürfen sie es, „doch verwehrt man es ihnen, wenn sie es sich auferlegen“ (Orach Chajim, Hilchot Tefillin 38:3). Als Grund wird erklärt, dass Frauen auf ihre körperliche Reinheit nicht so bedacht seien wie Männer. Das Legen der Tefillin erfordert einen reinen Körper. Dieses Urteil über die Frauen wurde von Männern ausgesprochen. Frauen dürfen sich in den Tallit kleiden und die Beracha darüber sprechen. Doch kommt ihnen das in Wirklichkeit nicht zu, da auch der Mann nicht zum Tragen der Tzitzit verpflichtet ist. Er muss lediglich Tzitzit an einem viereckigen Gewand haben, braucht sich aber an sich keines anzuschaffen. Die Frau soll ihn nicht übertreffen (siehe Orach Chajiw: Hilchot Tzitzit 17:2). All dies sind zeitgebundene Mizwot. Die Frauen sind frei von ihnen, dürfen sie jedoch auf sich nehmen. Dieser freiwillige Akt wurde jedoch unterbunden und schließlich stimmten die Frauen selbst dem „Verbot“ zu. Nur in zwei Fällen wehrten sie sich von Anbeginn: als es um das Blasen des Schofars und das Schütteln des Lulaw ging. So dürfen Frauen sich selbst das Schofar blasen und den Segen sprechen (Orach Chajim 589, Note). Können sie es nicht, so sprechen sie den Segen, und ein Mann bläst für sie. In gleicher Weise sind sie zum Schütteln des Lulaw berechtigt und verpflichtet (Orach Chajim 654:1). Bestehen die Frauen auf ihrem Recht, so haben sie also Aussicht, es für sich zu gewinnen. Die Frau zündet das Chanukka-Licht an, wenn sie es will. Ihre Rechte sind größer, selbst im Rahmen der Halacha, als sie es selbst wissen und anerkennen mag. Tritt sie von der Frauengalerie herunter und zur Tora hinauf, segnend und lesend, so ist sie noch immer innerhalb der vier Ellen der Halacha geblieben. Als der große Rabbiner Anton Nehemias Nobel der Frau erlaubte, sich zum Mitglied des Gemeindevorstandes wählen zu lassen und diesem Gremium beizutreten, da galt dies als eine gewagte Neuerung (siehe Ernst Simon: Brücken, S. 380). Heute ist das zur Selbstverständlichkeit geworden. Das Neue ist immer schwer und aufrüttelnd. Doch in der Erneuerung liegt das Wesen des Judentums. Aus Recht und jüdischer Ethik gebührt der Frau die Gleichberechtigung im Gesamtleben unserer Gemeinschaft und in ihrer eigenen Lebensgestaltung. Im Laufe der Zeit und des Vorwärtsschreitens wird sich auch auf diesem Gebiet des Frauenrechts das Wort des Raw Kook bewahren: „Das Alte sei erneuert, das Neue sei geheiligt.“

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