Rede von Gunda Trepp zum „Leo Trepp-Schülerpreis 2021“

Auftaktpressekonferenz: „Leo Trepp-Schülerpreis 2021“
Redebeitrag Gunda Trepp
Mainz, 14. September 2021

Sehr verehrte Frau Dr. Knobloch, auch wenn Sie nicht persönlich anwesend sind, so sind Sie doch so präsent, wie es jemand nur sein kann. Mit uns sind Ihre Worte der Ermutigung, für die ich Ihnen herzlich danke, ihre klaren Worte gegen den Antisemitismus, und vor allem Ihre Kraft und Würde, die wohl jeder und jede spürt, die Ihnen begegnet, sei es in persona oder virtuell. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Unterstützung. Wir sind glücklich und stolz, Sie unsere Schirmherrin nennen zu dürfen.

Sehr geehrter Herr Dr. Klein, auch Ihnen kann ich gar nicht genug danken. Sie waren von Beginn an dabei, haben sofort zugestimmt, die Schirmherrschaft gemeinsam mit Frau Dr. Knobloch zu übernehmen. Und sie füllen unsere Job-Beschreibung, wenn ich das mal so salopp sagen darf, immer besser aus. Denn unsere Stiftung möchte ja das jüdische Leben in Deutschland stärken. Und Sie sind tatsächlich nicht nur ein Bundesbeauftragter gegen Antisemitismus. Sie sind zudem immer stärker wirklich zu einem Bundesbeauftragten für jüdisches Leben geworden. Und wenn man die Strukturen der Judenfeindlichkeit erst einmal verstanden hat, weiß man, dass beides untrennbar verbunden ist.

Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Hubig, wie schön, dass Sie heute dabei sind. Sie zeigen damit noch einmal in Person, was wir als Stiftung die ganzen Monate über in der praktischen Arbeit bereits erfahren haben: Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz steht hundert Prozent hinter uns und unserem Projekt. Danke dafür.

Und natürlich Danke an Dich, lieber Dieter Burghard. Was Du sagst, was Du tust, kommt immer von Herzen. Deine Energie und Deine Menschenliebe scheinen unerschöpflich zu sein. Ohne Dich stünden wir heute nicht hier. Du hast Türen geöffnet, Kontakte hergestellt, und immer wieder Deine eigene Zeit gegeben. Du bist ein Mensch. Wir haben uns oft gesehen in den letzten Monaten, zusammen mit Deinem stets hilfsbereiten Mitarbeiter Sebastian Langguth, und dem zuständigen Referenten im Bildungsministerium, Jan Hendrik Winter, ein anderes Beispiel für jemanden, der nicht mal nur einen Job macht, sondern sein Herzblut in das legt, was er tut. Gleiches gilt für Mitarbeiter*innen der Ministerien in den sechs anderen Bundesländern, die sich an dem Preis beteiligen. Mit manchen von ihnen ist fast so etwas wie eine Freundschaft entstanden. Für ihren Einsatz für den Wettbewerb können wir ihnen nicht genug danken. Und das alles zeigt auch: So etwas stellt man nicht allein auf die Beine. Es bedarf eines Netzwerks, einer Arbeitsorganisation, vor allem aber eines echten Interesses und Engagements. Und ohne die Unterstützung und den Rat meiner wunderbaren Mitstreiter*innen in der Stiftung hätte ich das alles überhaupt nicht geschafft.

In den letzten Tagen, als ich über diesen Tag nachgedacht habe, ist mir oft die Frage eingefallen: Warum machen wir das alles?

Warum also? Hier muss ich für mich sprechen. Und kann nur sagen: Aus Liebe. Aus Liebe zu meinem verstorbenen Mann, der mein Denken geprägt hat wie sonst niemand. Und aus Liebe zu der Kultur und Ethik, an der ich immer schon interessiert war, deren wahre Schönheit und Tiefe ich aber erst durch ihn entdeckt habe.

Man hat Leo Trepp vertrieben aus Deutschland, seine Familie ermordet. Und er kam zurück. Immer wieder. Er lehrte, er schrieb Bücher. Nicht, um anzuklagen, sondern um herauszufinden, ob nicht diesmal die Deutschen bereit sein würden, mit den Juden in einen Dialog zu treten. Diesmal, nach der Schoah, wirklich zu akzeptieren, dass Juden und Jüdinnen in Deutschland Deutsche sind, dass sie eine andere Religion und Ethik haben, ja. Dass sie aber, wie Frau Dr. Knobloch so berührend über ihre Familie erzählte, aus dieser, aus ihrer Kultur heraus, etwas beitragen, ihre Heimat mitgestalten wollten und wollen. Doch um das zu verstehen, da war Leo Trepp überzeugt, mussten Nichtjuden etwas über das Judentum lernen. Denn das eine war ihm klar im Nachkriegsdeutschland: Die Vorbehalte gegen Juden waren ja nicht plötzlich verschwunden: Also mussten die Stereotype in den Köpfen zerschlagen und durch Wissen ersetzt werden. „Nur Wissen schützt vor Vorurteilen“, nannte er das. Und seinen Student*innen in Mainz und anderswo schärfte Trepp ein: „Ihr müsst die Bilder zurechtrücken. Ihr müsst zu Vorkämpfern werden gegen Antisemitismus.“

Ich habe unglaublich viel von ihm gelernt. Zwei Werte möchte ich nennen, die er mich gelehrt hat und die unmittelbar zusammenhängen. Und die so wichtig sind für junge Menschen: Lernen und Fragen.

Und vielleicht sollte ich hinzufügen: Die Lebenszeit stets zu nutzen. Hebräisch habe ich zum Beispiel so gelernt: wir machten Urlaub am Strand, das Wetter war schlecht, und wir saßen auf der Hotelterrasse, unterhielten uns und tranken Kaffee. Dann schrieb er etwas auf irgendeinen Zettel, schob ihn mir rüber und sagte: „Alef. Das ist der erste Buchstabe im Alphabet. Sag mal ‚Alef‘. Dann schrieb er einen weiteren Buchstaben, Bet. Und so weiter. Nach unseren zwei Wochen auf Gran Canaria konnte ich zumindest ein paar Worte hebräisch lesen. Darauf baute er auf. Unser gemeinsames Leben war auch gemeinsames Lernen. Und zwar so, dass es Freude machte. Vor allem, weil er mir nie das Gefühl, unterlegen zu sein, weil ich doch so vieles nicht wusste.

Es gab also in unserem Lernen keine Frage, die ich nicht stellen, keinen Gedanken, den ich nicht teilen konnte. Nicht nur, wenn es um Wissendetails ging, sondern allgemein. Denn – auch das lernte ich von ihm – man musste immer wieder in Frage stellen. Verhältnisse konnten sich geändert, Wege in die Irre geführt haben. Im Austausch konnten Menschen neue Wege ergründen, ausprobieren, wieder in Frage stellen. Er selbst sagte dazu einmal:

Es war und blieb das Wesen des Judentums, kritisch dafür zu sorgen, dass man nicht zu schnell, zu leichtfertig sich beruhige. Dieses Drängen und dieses hartnäckige Fragen in Politik und Kultur, in Literatur und in Leben und Gemeinschaft, das war im Wesentlichen, so scheint es mir, der bedeutendste Beitrag des deutschen Judentums; nicht zu erlauben, dass man sich schnell beruhige, sondern ethische Fragen durchdenke und sie im Gewissen beantworte. Fragen zu stellen, kritische Fragen, die ans Herz der Dinge gingen.

Das gehörte für ihn zum Wesen des Judentums. Heute lerne ich jeden Tag eine Seite Talmud und finde diesen fragenden Dialog bereits bei Rabbinern, die vor vielen Jahrhunderten lebten. Das ständige kritische Hinterfragen aus Liebe zu einer Sache, einer Idee, hat das Judentum über Jahrtausende lebendig gehalten. Hat die soziale Gesetzgebung beeinflusst. Den Umweltschutzgedanken im jüdischen Denken ausgebaut. Die Gleichstellung der jüdischen und mit ihnen nichtjüdischen Frauen vorangetrieben.

So etwas wissen Schüler*innen aber nicht. Wenn ich heute in einer Klasse frage, „woran denkt ihr, wenn ihr an Juden denkt“, kommen meist diese Antworten: ‚Holocaust.‘ ‚Israel.‘ ‚Die sind doch vergast und verbrannt worden.‘ ‚An den Weltkrieg‘. Neulich sagte eine Schülerin hier in Mainz: „Eigentlich ist es schade. Wenn ich an Juden denke, fallen mir nur diese schrecklichen Dinge ein. Alles negativ. Und dann fühle ich mich selbst schlecht.“

Wir müssen das ändern.

Und wo sollte man damit anfangen, wenn nicht an den Schulen? Der  Antisemitismus hat auch hier in den letzten Jahren in einem erschreckenden Maß zugenommen und nimmt weiter zu. Oft fühlen sich Lehrer*innen hilflos. Sie wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Programme, die lehren, wie man mit diesen Attacken umgeht, sind wichtig. Doch die Vorbeugung ist wichtiger. Und wir dürfen die Lehrer*innen damit nicht allein lassen. Sie brauchen Rüstzeug. Oft aber wissen auch sie zu wenig. Und es liegt nicht an ihnen. Dass in Deutschland die Grundzüge des Judentums und der jüdischen Ethik nicht als Pflichtmodule im Curriculum der Lehrerausbildung stehen, ist nicht zu verstehen. Nicht, nachdem wir heute genau wissen, wie der Antisemitismus funktioniert. Denn auch die moderne Judenfeindlichkeit ist immer noch die alte. Nur neu verpackt. Und der Judenhass – selbst der, der sich den Umweg über Israel sucht – speist sich immer noch aus den uralten Stereotypen. – Juden sind rachsüchtig. Natürlich, denn sie haben einen Rachegott. Auge um Auge. Juden halten sich für was Besseres. Juden sind anders. Gehören nicht richtig dazu. Alles Jahrhunderte alt – alles aktuell. Diese Bilder gehören entsorgt – ein- für allemal. Durch Bildung. Durch Wissen.

Das Gute daran ist: Es macht Spaß. In einer lebendigen Auseinandersetzung mit dem Judentum beschäftigen sich Schülerinnen und Schüler gleichzeitig mit ihren eigenen Wurzeln. Das Christentum lässt sich ohne das Judentum nicht denken. Und viele Wertvorstellungen haben ihren Weg darüber hinaus in Gesetze, in die Philosophie, ja sogar in Wortwendungen gefunden. So ist etliches Jüdische auch in einer immer stärker agnostisch und pluralistisch werdenden Umwelt fester Bestandteil der gesellschaftlichen Geschichte und Realität. Zehn Gebote. Nächstenliebe. Hilfe zur Selbsthilfe. Das gilt für die Muslime in unserem Land genauso, denn auch der Islam hat jüdische Wurzeln, die in mancherlei Hinsicht noch sichtbarer sind als bei den Christen. Wenn sie mehr über das Judentum erfahren, lernen Schülerinnen und Schüler ihre eigene Geschichte und ihr eigenes Lebensumfeld besser zu verstehen. Und vielleicht sehen sie, wie wunderbar eine Vielfalt in der Einheit sein kann. Wir dürfen alle anders sein, verschieden voneinander. Wir können trotzdem und gerade dann zusammen an einer besseren Gesellschaft in unserer gemeinsamen Heimat arbeiten. Das wünschen wir als Leo Trepp Stiftung uns. Und dazu möchten wir, zusammen mit vielen anderen, unseren Teil beitragen. Vielen Dank für Ihr Interesse.