Der jüdisch-islamische Imperativ

Unter den Abmachungen, die sich aus der Friedensvereinbarung zwischen Israel und den Arabern entwickeln, sollte es unbedingt die Schaffung eines permanenten Dialogs zwischen Judentum und Islam geben. Der Konflikt zwischen Israel und den Arabern hat eindeutige religiöse Wurzeln auf der arabischen Seite; nur wenn beide Religionen dazu gebracht werden können, sich gegenseitig anzuerkennen und zu respektieren, kann ein dauerhafter Friede erwartet werden. Es ist kein Zufall, dass Oberst Gaddafi in Libyen zu Israels schlimmsten Feinden gehört, in seinem Land herrscht die strikteste Auslegung des islamischen Gesetzes, und er teilt die Menschheit in Freunde und Feinde des Islams. Und es ist kein Zufall, dass König Feisal den Öl-Boykott zu dem erklärten Zweck anführte, Jerusalem wieder unter islamische Souveränität zu stellen. Mohammed hatte erklärt, dass der heilige Ort des Islam niemals in die Hände der Ungläubigen gelangen dürfe; er sprach von Mekka, aber Jerusalem ist die drittheilige Stadt des Islam. Religionsfreiheit ist nicht das Thema für einen tief gläubigen Muslim, Besitz ist das Thema.

Der Islam bezeichnet sich als die einzig wahre Religion. Der Koran tadelt sowohl Christen als auch Juden für ihre Ketzerei und für ihre Blindheit und ihr Versagen, der einzig wahren Religion zu folgen. Juden werden sogar noch harscher behandelt als Christen. Und doch sah das zehnte Jahrhundert einen freundschaftlichen Austausch zwischen liberalen muslimischen Denkern, den Kalaam, sowie den Juden und den Christen, so dass zeitgenössische Beobachter es nur dem Schwinden der Wahrheit zuschreiben konnten. Doch es kann genauso ein tieferes Verständnis für die Vielfältigkeit der Religionen gewesen sein (siehe Altmann Saadya Goan, S. 11).

Und es sollte nicht vergessen werden, dass der Koran es Muslimen erlaubt, in jüdischen Häusern zu essen, die den Kaschrut-Regeln folgen (5. Sure).

Dennoch könnten die Hindernisse für einen Dialog mächtiger sein als die Impulse für ihn, und hierin liegt die Herausforderung. Diese Aufgabe könnte viel schwieriger sein als die Errichtung des Dialogs mit dem Christentum. Das Christentum nimmt in der Bedeutung für viele Christen ab und ist deswegen offener für einen Dialog. Der Islam hat vielerorts eine Vormachtstellung. Das Gewissen des Christentum ist naturgemäß betroffen vom Holocaust, der sich in der Sphäre seiner religiösen Wirkung ereignete. Der Islam trägt keine unmittelbare Schuld an der Auslöschung des europäischen Judentums. Vor allem sieht das Christentum im Leiden, ja sogar im Tod – der Kreuzigung – einen Ausdruck des göttlichen Willens, einen ultimativen Akt des Segens. Der Islam dagegen erkennt Leiden für die von Gott Geliebten nicht als von ihm gewollt an. Denen, die an Ihn glauben, gibt Gott den Sieg. Niederlage ist der Beweis für göttlichen Unmut. Dies hat zwei Konsequenzen: Es macht es extrem schwer für Muslime, Souveränität über ein Stück Land aufzugeben, welches lange zum islamischen Einflussbereich gehört hat, und das tatsächlich das genaue Zentrum des islamischen Gebiets ausmacht. Und es macht es noch schwieriger, dieses Territorium an die Juden abzugeben, deren starkes Leiden für den frommen Muslim ein Zeichen sein muss, dass Juden in ihrem Gehorsam gegenüber Gott versagt haben und bestraft werden. Die Forderung der palästinensischen Befreiungsorganisationen mag daher nicht so sehr auf die politische Souveränität aufbauen, sondern darauf, dass das Land den Muslimen einst gehörte und zu ihrem Erbe zählte, nachdem sie es einmal für sich erobert hatten. König Feisals Aussage, dass die Juden den Lehren Moses nicht treu gewesen und deswegen der Anerkennung unwürdig seien, muss genauso verstanden werden: der Islam schätzt Moses’ Lehre und hat einen Anspruch auf das Land, das Moses seiner Gemeinde zugesagt hatte.

Ohne einen Sinneswandel mag es der Islam sehr wohl so sehen, dass er, einem göttlichem Gebot verpflichtet, das ganze Israel zurückerobern muss, indem er ihm zuerst seine verteidigungsfähigen Grenzen abspricht, um es dann zu überrennen, wie Hans Morgenthau es finster vorausgesagt hat. Die Sicherheit Israels hängt wesentlich von der Versöhnung der zwei Religionen ab.

Der Koran lobt die Väter, Propheten, und selbst die Rabbiner, warnt aber davor, dass – mit einigen Ausnahmen – der lebenden Generation von Juden nicht zu trauen sei, besonders da sie, wenn sie Muslimen begegneten, Respekt für den Islam vorgäben, nur um ihn dann herabzuwürdigen, wenn sie unter sich seien. Diese Haltung spiegelt natürlich Mohammeds eigene Enttäuschung – er hatte gehofft, die Juden für sich zu gewinnen und wandte sich erst gegen sie, als sie sich seinem neuen Glauben nicht anschlossen. Aber die Worte des Korans werden als das unveränderliche Wort Gottes angesehen (siehe 3. Sure) Mohammed versicherte seinen Anhängern, dass es die Feinde Gottes niemals schaffen würden, den Auserwählten Gottes zu schaden, und dass sie letztendlich die Flucht ergreifen würden. Der Koran fordert die Gläubigen auf, mit den Ungläubigen Krieg zu führen, bis Allahs Religion über die anderen herrscht. Bestenfalls war ein taktischer Rückzug gestattet (8.Sure). Weiterhin lesen wir dort, dass die Fremden ihren Wohlstand aufwenden, um die Gläubigen in die Irre zu führen; ihre Gebete seien lediglich ein Pfeifen und Händeklatschen (8.Sure). Dies könnte zur Erklärung beitragen, warum die arabischen Führer ihr Volk nicht ins 20. Jahrhundert geführt haben wollten. Anstatt Israel als Unterstützung in der Aufgabe zu sehen, das Los des einfachen Arabers zu verbessern, sahen sie in Israel den Verführer. Dass sie Israel am Jom Kippur angegriffen haben, offenbart die Missachtung des Islam für die jüdische Religion.

Zu Mohammeds Zeiten war es den Juden gelungen, die Landwirtschaft im ganzen Land zu optimieren, außerdem galten sie als geschickte Hersteller von Waffen. Doch trotz dieser Beiträge wurden sie abgelehnt und aus dem Land vertrieben. Es sollte also nicht überraschen, dass das heutige Israel von den Arabern einfach als Ausbeutungs-Werkzeug des „westlichen Imperialismus“ angesehen werden mag.

Doch unter dem Kalifat erging es den Juden gut, und dies könnte Hoffnung machen. Doch waren die Bedingungen unter dem Kalifat in zwei essentiellen Punkten unterschiedlich. Das Kalifat war nicht in den Händen arabischer Führer. Wir haben heute eine Parallele in der Beziehung zwischen Israel und dem Iran, das ein muslimisches, aber kein arabisches Land ist. Des Weiteren hatten die Juden keine Souveränität, sie wurden toleriert, aber sie konnten nicht völlig frei über ihr eigenes Schicksal bestimmen. Aber es herrschte ein Nebeneinander in Freundschaft, und hier könnte ein pragmatischer Ansatzpunkt für einen Dialog liegen.

Im Jahr 1971, als ich an der Universität Hamburg lehrte, schlug ich eine christlich-islamisch-jüdische Diskussionsrunde vor. Der Vorsitzende des Fachbereichs war enthusiastisch, aber das Projekt ist nie verwirklicht worden. Der islamische Vertreter, ein Professor an der Universität, weigerte sich teilzunehmen. Mir wurde erzählt, er habe behauptet, wir (Juden und Muslime) befänden uns in einem Heiligen Krieg. Es mag einen anderen Grund gegeben haben. Wir wollten Abraham zum zentralen Gegenstand unserer Diskussion machen, da er der Vater der Juden, der spirituelle Vater der Christen und durch Ismael auch Vater der Muslime ist. Gemäß dem Koran allerdings ist Abraham weder Jude noch Christ gewesen (3.Sure). Er war ein Nachfolger Allahs, und die „Völker des Buchs“ – als solche sind die Juden und Christen von den Muslimen anerkannt – sind danach seinem Glauben und seinem Beispiel untreu geworden. Deswegen war es den Juden unter islamischer Herrschaft verboten, die Höhle von Machpela, die Grabstätte Abrahams, Issaks, Jakobs und ihrer Frauen, zu betreten. Dies war den Muslimen vorbehalten, den wahren und gläubigen Nachkommen. Erst nachdem Israel im Sechs-Tage-Krieg dieses wichtige Heiligtum der Juden erobert hatte, konnten Juden und Christen wieder an den Gräbern beten. Selbstverständlich haben auch Muslime weiterhin Zugang.

Die Schwierigkeiten, die den Dialog beherrschen, offenbaren nur seine Notwendigkeit. Christen und Juden wurden durch äußeren Zwang der Geschichte zusammengebracht. Nun hat die Geschichte Juden und Muslime wieder zusammengebracht, Islam und Judentum von Angesicht zu Angesicht. Vielleicht eröffnet das die Möglichkeit eines Dialogs.

Es wäre jedoch von meiner Seite aus vermessen, konkrete Vorschläge zu machen, da ich fernab der Zentren des jüdischen Denkens und Handelns stehe. Aber vielleicht können ein paar Ideen als Ausgangspunkt für eine innerjüdische Diskussion fungieren. Wir könnten einen Ruf nach Dialog entwerfen und publizieren, vielleicht bekommen wir eine Antwort vom Islam. Unsere eigenen Rabbiner, die an verschiedenen Universitäten lehren, könnten das Projekt anführen und Seminare einfordern, die gemeinsam von jüdischen und islamischen Gelehrten geleitet würden. Und falls es keine Reaktion von islamischer Seite darauf gibt, vielleicht erst einmal eigenständig Kurse zum Thema anbieten.

Diese Aufgabe ist so wichtig, dass sie es verdient hätte, vom ganzen amerikanischen Judentum durch die Wohlfahrtsorganisationen finanziell unterstützt zu werden. In Wirklichkeit allerdings kämen die Kosten für die  Einführung auf das nicht-orthodoxe Rabbinat zu. Das Hebrew Union College wäre ein Zentrum, das sich anbieten würde. Hier könnten jüdische Universitätsprofessoren dafür vorbereitet werden, die Lehre würde gestärkt. Von hier aus könnte die Arbeit auf dem Jerusalem Campus fortgesetzt werden, als Zentrum des Studiums und Dialogs in Israel selbst. Nicht-orthodoxe Rabbiner in Israel könnten die bedeutende Aufgabe erhalten, so gut wie möglich auf lokaler Ebene für den Dialog zu werben. Dies könnte im Gegenzug ein Bewusstsein für den Wert der nicht-orthodoxen rabbinischen Arbeit und Talente unter den Israelis vermitteln.

Das zehnte Jahrhundert könnte erforscht werden, in Verbindung mit den Fundamenten des Islam in seiner Beziehung zum Judentum. Was hat die drei Religionen im zehnten Jahrhundert dazu veranlasst, so frei miteinander umzugehen? Was kann man davon lernen? Martin Buber hat das jüdische Volk einen Brückenbauer zwischen Ost und West genannt. Die Geschichte mag uns nun in die Position gebracht haben, zwischen der westlichen und der arabischen Welt Brücken zu bauen. Das Bauen von Brücken zwischen den Religionen kann den Unterschied zwischen Waffenstillstand und Frieden für Israel ausmachen, zwischen friedlicher Koexistenz und einer anhaltenden Bedrohung für Israels Überleben. Es könnte ein Segen für den Nahen Osten sein und ein Segen für die ganze Welt. 

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