Pogromnacht und Flucht

Ende Oktober 1938 werden rund siebzehntausend polnischstämmige Juden aus Deutschland in Züge gesteckt und an die polnische Grenze verschleppt. Polen will sie nicht aufnehmen und macht die Grenzen bald zu. Tausende Juden irren daraufhin heimatlos im deutsch-polnischen Grenzgebiet herum. Irgendwann werden mindestens achttausend von ihnen interniert, die hygienischen Zustände beschreiben Überlebende später als grausam und unerträglich. Unter den Zwangsdeportierten befinden sich die Eltern des siebzehnjährigen Herschel Grynspan, der daraufhin in Paris auf den deutschen Botschaftssekretär Ernst Eduard vom Rath ein Attentat verübt. Der Diplomat stirbt. Das nehmen die Nationalsozialisten auf einem Treffen in München zum Anlass, den Parteibüros und der SA zu signalisieren, landesweit Synagogen und jüdische Geschäfte zu zerstören, gleichzeitig machen sie klar, dass „arisches“ Eigentum bei der Aktion nicht zu Schaden kommen dürfe. Neben der SA beteiligen sich auch Polizei und Feuerwehr und ungezählte Privatbürger an den Überfällen. In der Nacht vom neunten auf den zehnten November brennen überall in Deutschland und Österreich die Synagogen. Der Mob zerstört über tausendvierhundert Gebethäuser und siebentausend Geschäfte oder beschädigt sie so stark, dass sie ruiniert daliegen. Mehr als 1300 Juden sterben durch die Angriffe. Rund 30000 werden festgenommen und auf Konzentrationslager verteilt. Goebbels spricht von der „verständlichen Empörung des deutschen Volkes“.

Julius Hirschberger Porträt
Julius Hirschberger: ermordet in Auschwitz

SACHSENHAUSEN

Das Konzentrationslager Sachsenhausen, gerade mal eine halbe Autostunde von Berlin entfernt, wurde 1936 von Häftlingen gebaut. In den ersten Jahren wurden hier hauptsächlich politische Gefangene eingekerkert. Nach dem Novemberpogrom erreichten rund sechstausend Juden das KZ. Nach dem Beginn des zweiten Weltkrieges verschleppten die Nazis Gefangene aus allen Ländern hierher. In den Jahren zwischen 1936 und 1945 inhaftierten sie hier mehr als zweihunderttausend Häftlinge aus vierzig Nationen und ermorden Zehntausende von ihnen.

 

 

Trepps Gotteserlebnis in Sachsenhausen

In Oldenburg brennen die Synagoge und die neu eingerichtete Schule nieder. Leo und Miriam Trepp werden verhaftet und zur Kaserne am Pferdemarkt geführt. Im Laufe der Nacht treffen immer mehr Frauen und Männer, unter ihnen Greise und Säuglinge ein. Trepp realisiert, dass man nicht nur die Synagoge in der Stadt verbrannt und die Juden dort verhaftet hat, sondern dass es eine landesweite Aktion ist. Am nächsten Morgen werden die Frauen entlassen. Miriam Trepp schickt Rabbiner Hertz ein Telegramm: „Das Schiff ist gesunken.“ Die Männer werden auf einen Marsch durch die gesamte Stadt geschickt. Man will sie in ihrem Leid vorführen und demütigen. Doch die Juden laufen hocherhobenen Hauptes durch die Straßen. Sie werden ins Gefängnis gebracht. Dort bricht Trepp zum ersten Mal zusammen. Er schlägt seinen Kopf gegen die Wand und ruft, „Was habe ich denn getan?“ Doch er sammelt sich schnell und ist schon im nächsten wieder die Führungskraft, von der die anderen Rat und Trost erhoffen. Am nächsten Morgen transportiert ein Sonderzug die Juden in das Konzentrationslager Sachsenhausen.

Auf dem Weg stolpert Trepp und verstaucht sich den Knöchel. Die anderen Männer stützen ihn beim Weiterlaufen.  Auch im Lager helfen sich die Gemeindemitglieder gegenseitig. Trepp überzeugt die strikt orthodoxen Mitglieder, die nicht koschere Suppe zu essen, um ihr Leben zu erhalten. Wärter und Offiziere machen sich einen Spaß daraus, die Gefangenen unsinnige Aufgaben ausführen zu lassen und sie zu quälen. Einige erschießen Häftlinge, um sich zu unterhalten. Trotz der demütigenden und lebensbedrohenden Behandlung weigert sich Leo Trepp, die Opferrolle anzunehmen. Wenn er schon sterben muss, will er als selbstbewusster Jude in den Tod gehen. Als der Kommandant des Lagers die Gefangenen nachts einmal stundenlang auf dem Appellplatz antreten lässt und sie mit Beschimpfungen verurteilt, glaubt der Rabbiner sicher, dass ihr Folterer seinen Männern nun den Befehl geben werde, sie alle zu erschießen. Er spricht sein Glaubensbekenntnis und betet zu Gott, dass er bereit sei, als Märtyrer für ihn zu sterben. In demselben Moment hat er das starke Gefühl, dass Gott neben ihm im Konzentrationslager ist. Es ist das einzige Gotteserlebnis, das er je haben wird. Trepp wird es nie vergessen.

Leo Trepps Reisepass für die Emigartion
Trepps Reisepass für die Emigration
Befreiung, Kindertransporte und Ausreise

Drei Wochen später schickt Oberrabbiner Hertz Visen für ihn und Miriam. Zu dieser Zeit ist es immer noch das Hauptanliegen der Regierung, die Juden zur Auswanderung zu bewegen. Wenn sie nachweisen können, dass sie ausreisen werden, entlässt man auch Häftlinge aus den Konzentrationslagern. Leo Trepp wird unter der Auflage entlassen, Deutschland innerhalb von zwei Wochen zu verlassen. Zurück in Oldenburg organisiert er dort in seiner letzten Zeit die Kindertransporte, die Anfang Dezember 1938 beginnen.

 

 

KINDERTRANSPORTE

Über 50000 deutsche Juden wanderten während der NS-Zeit nach Großbritannien aus. Nach den Novemberpogromen in Deutschland begannen ab dem 2. Dezember 1938 die Kindertransporte auf die Insel. Mit Bahnen und Schiffen wurden deutsche und österreichische, später auch polnische und tschechische jüdische Jungen und Mädchen von Holland aus in Sicherheit gebracht. 

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Abraham Trepp und Martin Trepp
Abraham Trepp mit seinen Söhnen Martin und Leo.

England hat sich bereit erklärt, jüdische Kinder aufzunehmen, die in Familien untergebracht werden sollen. Doch obgleich sie wissen, dass ihre Töchter und Söhne so in Sicherheit sein werden, fällt es Eltern sehr schwer, sich von ihnen zu trennen. Ein Ehepaar, das der Rabbiner anfleht, seine Kinder mitfahren zu lassen, kann sich nicht zu diesem Schritt entscheiden. Die gesamte Familie wird später ermordet. Leo und Miriam Trepp besuchen noch einmal seine Eltern. Es wird das letzte Mal sein, dass er sie sieht. Besonders den Anblick seines Vater, dem er gedanklich und emotional bis auf seine eigene letzte Stunde tief verbunden bleiben wird, kann er nie vergessen.
In Vechta trifft der Rabbiner nur noch den Vorsitzenden der Gemeinde, Gerson, an. Auf dessen Schoß seine kleine Tochter. Jahrzehnte später soll Trepp das Mädchen, nun eine verheiratete Alisa ben-David wiedersehen. Zufällig waren sie und ihr Mann seit Jahren gute Freunde seiner Frau Gunda. Trepp muss noch einmal zur Gestapo. Dort trifft er auf einen Beamten, der ein Schüler seines Onkels Abraham in Osnabrück war und ihm wohlgesonnen ist (auch Abraham Trepp und seine Familie wurden umgebracht, nur ein Sohn überlebt. Er geht nach Israel und ändert seinen Namen. Nichts soll an Deutschland erinnern). Trepp hat nie erfahren, ob es dieser Beamte war, der ermöglicht hat, dass ihm drei statt zwei Wochen für die Ausreise bleiben. Als der Rabbiner seine Talmudbände im Büro des Gestapomannes entdeckt und bittet, sie zurückzubekommen, darf er sie tatsächlich mitnehmen. Davon abgesehen muss das Ehepaar alles, was von Wert sein könnte, zurücklassen. Lediglich Bücher und einen Chanukka Leuchter lässt man es einpacken. Drei Wochen später schiffen Leo und Miriam Trepp in Holland für London ein.

Leben in London und Ausreise in die Vereinigten Staaten

In London arbeiten sie in einem Waisenhaus, in dem die jüdischen Kinder aus den Transporten untergekommen sind, für die bislang keine Familie gefunden werden konnte. Nebenher verbessern sie ihr Englisch. Von nun an werden sie auch untereinander nicht mehr Deutsch sprechen. Trepp fühlt sich wie im Niemandsland. Er hat alles verloren und hat alle Vorstellungen von einer Zukunft aufgegeben, an die er fest geglaubt hatte. Bald hört er von seiner Mutter, dass sein Bruder dringend seine Hilfe braucht. Gustav sitzt im Konzentrationslager Buchenwald und kommt nur heraus, wenn er ein Visum hat. Mit Hilfe eines britischen Geschäftsmannes, der bereits eine Oldenburger Familie aufgenommen hat, kann er seinen Bruder nach England holen. Um seine Eltern aber muss er sich weiterhin sorgen.

Der alte Trepp mit Alisa Ben David auf einem Foto
Leo Trepp mit Alisa ben-David und ihrem Mann Menashe z’l
Trepp bekommt das Angebot, zusammen mit seinem Professor des Berliner Seminars, Alexander Altmann, eine Synagoge in Manchester zu führen. Er überlegt es sich lange und ernsthaft, hat aber bereits ein Visum für die Vereinigten Staaten beantragt, wo zwei Tanten von Miriam für sie garantieren werden. Als dann 1939 der Krieg zwischen Deutschland und England ausbricht, ist er sich seiner Sache sicher. Im Januar 1940 erreichen Leo und Miriam Trepp den Hafen von New York.