Zurück in die gestohlene Heimat

Nachdem er Gemeinden in den Südstaaten, Berkeley und Boston betreut hat, wo er nebenher zwei Jahre an der Harvard Universität studierte, ist Trepp seit 1951 Professor für Geistesgeschichte und Philosophie am Napa College nahe San Francisco. Finanziell unabhängig baut er nun nebenher neue Gemeinden auf. In Napa, im weiter nördlich gelegenen Eureka und in Santa Rosa hilft er Juden, zu lernen und neue Gemeinschaften zu etablieren. Seine Gottesdienste ähneln im Ritus der Neo-Orthodoxie, doch Frauen und Männer sind vollkommen gleichberechtigt. Zudem beginnt er, als jüdischer Seelsorger im größten Veteranenheim des Landes in Yountville bei Napa zu arbeiten, dessen Synagoge seinen Namen tragen wird. In seiner knapp bemessenen freien Zeit schreibt er Essays und Bücher. Gleich das erste Werk für den englischsprachigen Markt, „A History of the Jewish Experience“, das Leo Trepp 1962 – noch unter einem anderen Titel – schreibt, wird ein Erfolg. Weitere Titel folgen, darunter Klassiker wie „Judaism, Development and Life“. Mordecai Kaplan hat ihn schon 1943 als Redaktionsmitglied für das Magazin ‚The Reconstructionist’ verpflichtet, das in diesen Jahren als nationales Magazin für jüdische Intellektuelle und Experten gilt, die zentrale, oft ideologische Fragen des jüdischen Lebens diskutieren wollen. Seit 1956 bringt Trepp alle zwei Jahre eine Gruppe seiner Studierenden nach Europa. Die Amerikaner sollen dessen Kultur kennenlernen. Auch Deutschland steht auf seinem Programm.

 

Erinnerungsgang an Judenhetze im Jahr 1939 in Oldenburg
Erinnerungsgang in Oldenburg

1954 kehrt Leo Trepp zum ersten Mal nach Deutschland zurück. Er besucht das Grab seines Vaters, der 1941 an einem Herzleiden gestorben ist. Bis auf seinen Bruder, den er aus dem Land herausholen konnte, und einen Cousin, der in das damalige Palästina floh, sind alle Familienmitglieder ermordet worden. Trepp läuft durch seine Geburtsstadt, in der vieles noch zerstört ist. Er sinniert über den Neuanfang nach, den es nun geben muss. Deutsche, denkt er, müssen das Judentum besser kennenlernen, um ihren alten Antisemitismus zu überwinden und keinen neuen zu entwickeln. Er will dabei helfen. 

 

Hass lässt er nicht in sich aufkommen. „Hass zerstört gänzlich, und Liebe heilt gänzlich“, schreibt er 1973 in einem Essay für das amerikanische Magazin Sh’ma. Er entscheidet sich für die Liebe. Immer wieder kehrt er zurück und trifft auf Politiker und Kirchenvertreter, von denen viele ihn um Rat bitten. Er wird nicht müde zu betonen, dass, wenn es ihnen ernst mit ihrem Wunsch ist, aus der Vergangenheit zu lernen, sie nun aktiv „gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung kämpfen müssen“, wie er es formuliert. 

 

Leo Trepp „Hass zerstört gänzlich, und Liebe heilt gänzlich“

 

 

Leo Trepp bei einem Gottesdienst in Oldenburg
Erster Bet Din für Übertritte in Oldenburg nach der Schoah

Wenn es auch kaum noch Juden gibt, ist der Antisemitismus immer noch lebendig. Viele Amtsträger aus der Hitlerzeit sind von der westdeutschen Bürokratie übernommen worden. Sie haben leitende Positionen nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft und vor allem in der Justiz. Längst hat sich die NPD gebildet, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands. Nicht wenige Bürger betrachten jeden Versuch, sich mit der jüngsten Vergangenheit zu beschäftigen, als Nestbeschmutzung. Entsprechend werden Politiker wie der SPD-Kanzler Willy Brandt, der vor dem Mahnmal für die Toten des Warschauer Ghettos niederkniet oder Juristen wie der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der Naziverbrecher nicht entkommen lassen will, verunglimpft und als „Vaterlandsverräter“ beschimpft. Trepp sieht, dass nur wenige, die in den nationalsozialistischen Jahren Verantwortung hatten, sich ihrem Denken und ihren früheren Entscheidungen stellen. 

 

Konservativ-liberale Gemeinde

Die Gemeinde in Oldenburg verbindet liberale Elemente, zum Beispiel die völlige Gleichstellung der Frau im Gottesdienst und in der Gemeinde, mit konservativen Elementen, zum Beispiel im Gottesdienstablauf und bei den Gebeten. Auch die konservative Bewegung in den Vereinigten Staaten hat sich in der Haltung immer stärker den Positionen der liberalen Juden, der Reform, angenähert.

 

 

Umso größer ist seine Hoffnung, die neue Generation zu erreichen. Ihnen sagt er, dass sie gemäß der jüdischen Lehre keine Schuld für die Sünden ihrer Eltern tragen, wohl aber die Verantwortung, für eine bessere Zukunft, frei von Antisemitismus und anderen Vorurteilen zu kämpfen. 1969 erscheint sein Buch „Die Juden“ in Deutschland. Er wird nun häufig zu Vorträgen eingeladen. 1971 lehrt er in Hamburg, 1979 veranstaltet die Universität auf seine Anregung die erste Konferenz zwischen Juden, Christen und Muslimen. Nur Gespräche zwischen den Konfessionen können aus seiner Sicht zu Verständnis füreinander und zu einem besseren Miteinander führen.

1992 gründet sich in Oldenburg eine neue jüdische Gemeinde, die Leo Trepp von Anfang an begleitet. Ihm sei es zu verdanken, dass es dort „ein konservativ-liberales Judentum“ gebe, sagt das Gründungsmitglied Michael Daxner.

Was zählt im Judentum – Gott – Mitzwot

Gott kann für die Juden begrifflich nicht erfasst werden, was für Leo Trepp unwesentlich ist. Juden folgten dem lebendigen Gott durch die Einhaltung der Mitzwot. Von den insgesamt sechshundertdreizehn rufen zweihundertachtundvierzig zum aktiven Handeln auf, diese Zahl entspreche den Teilen des menschlichen Körpers, was die Wichtigkeit des aktiven Einsatzes unterstreiche. 

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Mesusa Mainz
Die gerettete Mesusa aus dem Mainzer Elternhaus begleitet Trepp durchs Leben

Trepp war in Mainz in einer Gemeinschaft aufgewachsen, in der das Judentum der Maßstab allen Tuns war, und in der das Wertesystem der Religion in jede Facette des privaten und gesellschaftlichen Lebens hineinreichte. Diese Form des Judentums wird er sein Leben lang vertreten. Er hat sich nach der Schoah nie mehr einer Richtung zugehörig gefühlt. Wichtig für ihn sind Gott und die Mitzwot und die ethischen Werte, die sich daraus für das Leben ergeben.

In der Tradition der Rabbiner sieht er das Judentum in einer stetigen Weiterentwicklung, die sich unter anderem an der Kultur der Umwelt orientiert. Er plädiert für die völlige Gleichstellung der Frau, auch im Gottesdienst. In Oldenburg wird 1995 die erste Rabbinerin nach der Schoah in ihr Amt eingeführt. Daneben setzt er sich für jüdische Pluralität ein, wie es sie in der Vorkriegszeit in den Einheitsgemeinden in Deutschland gab. Juden sollen unter einem großen Dach in einer Weise beten können, die ihrer individuellen Situation entspricht. Nach Trepps Tod etabliert die Oldenburger Jüdische Gemeinde das Leo Trepp Lehrhaus, das – oft in Kooperation mit anderen akademischen Einrichtungen – Lehr- und Kulturveranstaltungen anbietet. 2013 wird die Straße, an der Synagoge und Gemeindehaus liegen, zur Leo-Trepp-Straße umbenannt.