Rabbiner bis zum bitteren Ende

Nach seiner Ordination tritt Leo Trepp die Stelle am 1. August 1936 an, sein Gehalt bezahlt der Preußische Landesverband Jüdischer Gemeinden. Am 22. November 1936 wählt ihn der Landesgemeinderat offiziell zum neuen Rabbiner. Das Land Oldenburg hat als erstes im Deutschen Reich eine nationalsozialistische Regierung gewählt, die seit dem 29. Mai 1932 regiert. Von Beginn an kürzt sie der jüdischen Gemeinde systematisch die Mittel. Diese werden jüdischen und christlichen Gemeinden aus Steuergeldern gewährt und dienen dazu, Einrichtungen mitzufinanzieren, die vom Staat vorgeschrieben werden, wie beispielsweise der Religionsunterricht. Die Oldenburger Landesgemeinde, der 15 jüdischen Gemeinschaften angehören, hat kaum noch Geld und kann sich nur mit Hilfe des Landesverbandes, der wiederum der Reichsvertretung der Juden angeschlossen ist, überhaupt noch über Wasser halten.

Lep Trepp als junger Rabbiner in Oldenburg
Leo Trepp als junger Rabbiner in Oldenburg

 

REICHSVERTRETUNG DER JUDEN IN DEUTSCHLAND

Die Reichsvertretung der Juden in Deutschland wurde 1933 als „Reichsvertretung der deutschen Juden“ gegründet und musste sich nach den Nürnberger Rassegesetzen umbenennen. Vertreten von ihrem Vorsitzenden, Rabbiner Leo Baeck, sprach sie für die deutschen Juden. Sie war damit auch für die lebensnotwendige Verbindung zum Regime zuständig. 

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Seine ganze Amtszeit hindurch wird Leo Trepp mit den Behörden um jeden Pfennig kämpfen müssen. Von seinen Mitgliedern kommen kaum noch Beiträge oder Steuern. Im Gegenteil brauchen immer mehr Menschen die Unterstützung der Gemeinde. Viele Mitglieder arbeiten als Kaufleute oder Viehhändler und haben kaum noch Einnahmen, weil sich seit 1932 immer mehr Nichtjuden von ihnen abwenden. Über Jahrzehnte bestehende Geschäftsbeziehungen sind abrupt abgebrochen worden, die Menschen leben von ihren Ersparnissen. Doch oft reichen auch die nicht mehr. So muss Trepp neben seinen normalen rabbinischen Pflichten mit Hilfe einer Sozialarbeiterin des Landesverbandes vor allem praktische Aufgaben erfüllen: Gemeindemitglieder wollen auswandern und suchen Rat und finanzielle Unterstützung, andere haben bereits alles verloren und hungern. Von ihren christlichen Nachbarn können sie keinerlei Hilfe erwarten, auch wenn sie jahrzehntelang friedlich mit ihnen zusammengelebt haben.

 

Sein frühes Wirken
Synagoge in Oldenburg
Synagoge in Oldenburg

Der junge Rabbiner praktiziert in diesen Jahren das Denken, das ihn sein Leben lang geleitet hat: Er geht auf die Menschen zu und hilft auch den Juden, die seine Gemeinde schon längst verlassen haben. Manche sind gegangen, weil sie die wegen der staatlichen Kürzungen steigenden Beiträge nicht mehr tragen wollten, andere haben sich vollkommen assimiliert und wollen ihre Zugehörigkeit zum Deutschen Reich betonen, indem sie die jüdische Gemeinschaft verlassen, oder sie sehen einfach keinen Sinn mehr darin. Und andere wiederum haben die Gemeinde bereits verlassen, als die ersten Juden aus dem Osten kamen – arm und strikt religiös und sofort als Juden zu erkennen – und sie mit ihnen angesichts der Verachtung der Nichtjuden nichts zu tun haben wollten. Doch nun brauchen alle den Rabbiner. Und Trepp ist da. Er reist viel, gibt Zuspruch und handelt in Notfällen unorthodox und praktisch. In Vechta wird die Synagoge für eine Familie, die ihre Unterkunft verliert, zur Wohnung umgebaut. Die Synagoge in Wildeshausen wird verkauft, um den Juden das Geld für ihre Auswanderung zu geben. Immer wieder muss er Juden beistehen, die der Rassenschande angeklagt werden, darunter solche, die seit Jahren mit Nichtjuden in einer Partnerschaft leben. Der Rabbiner besucht die Angeklagten im Zuchthaus und geht zu ihren Prozessen, um den Juden zu zeigen, dass die Gemeinde sie nicht allein lässt.

RASSENSCHANDE

Zu den einstimmig angenommenen Nürnberger Rassegesetzen gehörte neben dem Reichsbürgergesetz (15.9.1935), das die Frage definiert, wer Jude ist und die Begriffe „Halb-und Vierteljuden“ einführt, auch das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Es verbietet Eheschließungen zwischen Juden und Personen „deutschen oder artverwandten Blutes". Außerehelicher Verkehr zwischen Juden und „Ariern" ist ebenfalls verboten und gilt als Rassenschande.

 

 

Er beginnt, kulturelle Veranstaltungen zu organisieren. Über den jüdischen Kulturbund, der mittlerweile ein Netzwerk über das ganze Reich aufgebaut hat, in dem so viele arbeitslose jüdische Künstler beschäftigt werden wie möglich, lädt er Sänger ein, Orchester und andere Kulturschaffende. Er organisiert Filmabende und Vorträge und Lesungen. Er selbst gibt Kurse in Tora und Talmud, jüdischer Geschichte, Literatur und Gesetz. Der junge Rabbiner versucht, die jüdische Identität unter den erwachsenen Gemeindemitgliedern durch Bildung zu stärken. Die Juden sollen dem Regime, das bald beschließen wird, sie zu töten, mit Selbstbewusstsein und Stolz entgegentreten können. Und die Menschen, von denen viele in ihren nichtjüdischen Gemeinschaften vereinsamt sind, nehmen die Angebote gerne an.

Engagement für jüdische Kinder

Am meisten aber leiden die Kinder, die nicht verstehen, warum ihre nichtjüdischen Freunde sie ausgrenzen. Trepp will sie aus ihrer Isolation herausholen und ihnen die Anfeindungen ersparen, die sie an öffentlichen Schulen erfahren und richtet mit Hilfe der Reichsvertretung eine jüdische Schule ein. Er weiß nichts von der Ankündigung des Wissenschaftsministers vom 10. September 1935, ab 1936 die Rassentrennung auch an Schulen einzuführen.

Schüler einer jüdischen Schule auf einem Gruppenfoto
Rabbiner Trepp mit den Kindern der Gemeinde neben der neuen Schule.
 

SCHULEN

Seit den Nürnberger Rassegesetzen vom September 1935 hat Berlin gesonderte Schulen für die Juden vorgesehen. Noch konnte es sich Deutschland dem Ausland gegenüber nicht leisten, die jüdischen Kinder gar nicht mehr zu unterrichten und ihre Schulpflicht aufzuheben. Hitler wollte die Fassade aufrechterhalten...

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Von der Reichsregierung gibt es bald grünes Licht für die Schule, aus Oldenburg dagegen kommt großer Widerstand. Doch Trepp setzt sich durch. Bei der Verwirklichung unterstützt ihn zu seiner großen Überraschung auch ein Beamter der Landesregierung nach allen Kräften.

Die Schüler lernen nicht nur Mathematik und Deutsch, sondern, um sie auf die Emigration vorzubereiten, ebenfalls Englisch und Hebräisch, sowie die Geschichte von Eretz Israel, wie die Juden das von den Briten besetzte Palästina nennen. Als der Reichsminister den zuständigen Behörden in einem Erlass vom 2. Juli 1937 rät, besondere Schulen oder Sammelklassen für Juden einzurichten, hat Trepp mit der Stadt bereits monatelang über die Bedingungen für eine neue Schule verhandelt, deren Einrichtung am 28. August 1937 in den Amtsblättern bekanntgegeben wird.

 

 

Gedanken über Auswanderung

 

Obgleich schon zahlreiche Mitglieder ausgewandert sind, hoffen viele der Zurückgebliebenen immer noch, dass man die Zeit der nationalsozialistischen Regierung einfach vorbeigehen lassen könne. Das geht soweit, dass einige von ihnen ihre Kinder nicht auf die vom Rabbiner eingerichtete Schule schicken wollen, weil sie Angst haben, sie könnten sich in den Augen ihrer „arischen“ Nachbarn von der Gesellschaft distanzieren, die sie ja in Wirklichkeit längst ausgestoßen hat. Leo Trepp selbst ist gespalten. Auch als Rabbiner denkt und fühlt er deutsch. Er will das deutsche Judentum beeinflussen und der deutschen jüdischen Gemeinschaft dienen. 1937 unterschreibt er einen Vertrag mit der konservativen Synagoge in der Glockengasse in Köln für einen Posten, den er 1939 antreten soll. Seine Hoffnung, dass ein Kulturvolk – sein Kulturvolk – auf Dauer nicht einem fanatischen Verführer folgen werde, bleibt lange bestehen. Seine Frau Miriam, die Tochter seines verstorbenen Vorgängers, Rabbiner Philipp de Haas, die er im April 1938 heiratet, denkt pragmatisch und überredet ihren Mann, zusammen den britischen Hauptrabbiner, Joseph Hertz, während seines Urlaubs in der Schweiz aufzusuchen und ihn eventuell zu bitten, sie aus dem Land zu bringen. Hertz schickt seinen jungen Kollegen mit den Worten „Sie sind der Kapitän des Schiffes und müssen der letzte sein, der das Schiff verlässt“ und mit dem Versprechen, dass er Bücher zum Lernen und zur Erbauung schicken werde, nach Oldenburg zurück.